- Januar 2023 um 13:00 Ein Artikel von: Tobias Riegel
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in den letzten Tagen den Eindruck erweckt, dass er der Kriegstreiberei durch Teile seiner Koalition und durch die USA wenigstens den Ansatz eines eigenen taktischen Verhaltens entgegensetzen will. Indem er deutsche Lieferungen von Kampfpanzern mit ebensolchen Lieferungen aus den USA verknüpfte, konnte kurzzeitig der moralische Druck auf Deutschland etwas gemildert werden. Ist dieser erweckte Eindruck eines „widerständigen“ Bundeskanzlers realistisch, wo doch dieser Kanzler die militaristische „Zeitenwende“ verkündet und beworben hat? Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Zuspruch für das möglicherweise strategische Verhalten der letzten Tage erhält Kanzler Scholz momentan auch von ungewöhnlicher Seite. So schreibt die „Junge Welt“:
„Was auch immer den Bundeskanzler bewogen hat, das Gerücht zu streuen, er koppele eine ‚Leopard‘-Lieferung daran, dass die USA ebenfalls Kampfpanzer nach Kiew schicken – der Schachzug war erfolgreich. Sein neuer Kriegsminister erklärte in Ramstein wörtlich, der Eindruck, es gebe in dieser Frage eine ‚geschlossene Koalition‘, sei ‚falsch’. Es herrscht Meinungsverschiedenheit, um nicht zu sagen Verwirrung im Westen. Keine schlechte Leistung.“
Solche Beiträge sind selbstverständlich die große Ausnahme. Das Verhalten vieler Journalisten und Politiker, die den deutschen Kanzler in den letzten Tagen bei der überlebenswichtigen Frage der deutschen Kriegsbeteiligung scharf angegriffen haben, ist einmal mehr sehr fragwürdig.
Eine große Ausnahme im Einheitsklang vieler großer Medien, die die Lieferung deutscher Kampfpanzer gar nicht abwarten können, gab es dieser Tage aber auch: Im MDR argumentierte Rommy Arndt konsequent gegen das brandgefährliche Trommeln für deutsche Panzerlieferungen. Der MDR-Kommentar hat Aufsehen erregt, der Sender sah sich genötigt, eine Erklärung dazuzustellen – und der Grüne Volker Beck meinte auf Twitter erwartungsgemäß, er würde „die Dame abmahnen lassen“.
Waffen und SPD: Liefern, zögern, liefern…
Der bisherige Mechanismus bei den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine lief oft folgendermaßen: Besonders eifrige Kriegstreiber vor allem von Grünen und FDP oder aus etablierten Medien behaupteten eine „internationale Verpflichtung“ oder eine emotionale moralische Folgerichtigkeit, um Deutschland noch weiter in den Ukrainekrieg zu ziehen. Dann „zögerte“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Weile – und dann wurden die Waffen trotzdem geliefert, bis hin zu Schützenpanzern. Dieses nur scheinbare Zögern wird darum von vielen kritischen Beobachtern als Teil einer Inszenierung interpretiert, mit der die Bevölkerung „schonend“ an die neue Militarisierung herangeführt werden soll, also eines Vorgehens, bei dem mit verschiedenen Rollen ein Widerstand gegen den Kriegseintritt Deutschlands nur simuliert werden soll.
Ob das aktuelle Verhalten von Scholz, das die Lieferung von deutschen Kampfpanzern bisher zumindest erfolgreich verzögert hat, nur der übliche Theaterdonner vor dem erneuten Einknicken der SPD-Führung ist oder ob die Taktik nur eine Wahlkampfstrategie der SPD etwa vor der kommenden Berlinwahl ist, das kann man nur vermuten. Aber auch wenn es so ist: Trotzdem wurde dadurch nun endlich mal ein Zeichen gesetzt, das von der bisherigen, total widerstandslosen Kriegslinie wenigstens in Nuancen abweicht. Bei der Beurteilung der deutschen Regierung muss auch immer der enge Spielraum eingepreist werden, der den Politikern wegen des starken US-Einflusses noch bleibt.
Wird die SPD die Bürger wieder enttäuschen?
Es ist ein sehr subjektiver Eindruck: Viele Menschen erscheinen mir durch das Verhalten von Scholz der letzten Tage und durch die giftigen Reaktionen in Politik und Medien mit neuer friedenspolitischer Motivation erfüllt. Das könnte auch unter den SPD-Mitgliedern eine Wirkung entfachen, auf die die Führung möglicherweise irgendwann reagieren müsste.
Aber auch ein anderes Szenario ist möglich, schließlich hat die SPD ihre friedenspolitischen Wurzeln weitgehend gekappt und Scholz ist wie gesagt der Kanzler, der die militaristische „Zeitenwende“ verkündet und beworben hat: Bei diesem Szenario knickt die SPD-Führung schon wieder ein und die Bundesregierung gibt die Erlaubnis, Leopard-Panzer zu liefern. Dadurch würde sich das jetzige Verhalten rückwirkend als Irreführung darstellen, mit der der Bevölkerung vorgegaukelt wird, es gebe (angeblich) verschiedene Positionen zu den Waffenlieferungen, um die ehrlich gerungen würde. Das würde dann eine umso größere Enttäuschung hervorrufen.