Inflation ohne Ende
von Rüdiger Rauls
Eingestellt am 3.6.2023
Die Inflation hält sich hartnäckig. Die Allzweckwaffe Zinserhöhung scheint nicht die gewünschte Wirkung zu zeigen. Nun hat man die Kerninflation als Verursacher entdeckt. Welchen Nutzen hat das für die Verbraucher oder zumindest für die Erkenntnis?
Wiederentdeckung der Kerninflation
Der Begriff ist nicht neu. Er stammt aus den 1970er Jahren. Nun hat vermutlich irgendein Wirtschaftswissenschaftler die Kerninflation aus den Archiven ausgegraben und sie wieder ins Gespräch gebracht. Jedenfalls wurde der Begriff von der Fachwelt dankbar aufgenommen und seit Monaten wird sie als die neue Erkenntnis für den Umgang mit Zinsen und Inflation herumgereicht.
Aber Inhalt und Sinn können dem Publikum nicht vermittelt werden. Die einzige Erläuterung ist, dass es sich dabei um die Inflation langlebiger Güter handelt ohne die stark schwankenden Preise für Energie und Lebensmittel. Letztere aber sind gerade jene Güter, deren Aufschläge den Menschen in den letzten Monaten das Leben schwer gemacht haben. Was bringt es, diese auszuklammern?
Unübersehbar ist, dass die Werte der Kerninflation wesentlich niedriger sind als die des Verbraucherpreisindexes, der die allgemeinen Preissteigerungen gegenüber dem Vorjahresmonat abbildet. Während sich die Kerninflation in den Monaten von Januar bis April 2023 um die 5,7 Prozent(1) bewegte, lagen der offizielle Wert für den Verbraucherindex bei fast 9 Prozent (2). Je nach Berechnungsgrundlagen werden auch noch höhere Werte genannt.
Die Preise für Lebensmittel jedoch stiegen weit deutlicher, im März 2023 um satte 22,3% gegenüber dem Vorjahresmonat. Damit hat sich ihr Preisauftrieb sogar gegenüber den Vormonaten (Februar 2023, +21,8 %, Januar 2023: +20,2 %) noch weiter verstärkt und liegt mittlerweile dreimal so hoch wie die Gesamtteuerung. Diese Zahlen sind beunruhigend. Deshalb stellt sich natürlich die Frage, ob es sich bei der Betonung der Kerninflation um eine Beruhigungspille handelt oder ob sie tatsächlich Bedeutung hat für die Bekämpfung dieser Preisentwicklung.
Hirnakrobatik
Jedenfalls scheint EZB-Chefin Christine Lagarde der Kerninflation eine hohe Bedeutung beizumessen. Denn nach der EZB-Ratssitzung vom März dieses Jahres erklärte sie, dass man über weitere Zinserhöhungen datenabhängig entscheiden werde. Damit waren sowohl die Inflationsprognosen gemeint, was nachvollziehbar ist, aber auch „die Entwicklung der Kerninflation“(3). Aber kaum jemand konnte mit dem Begriff etwas anfangen, außer dass damit der Preisanstieg langlebiger Güter gemeint.
Dennoch war das unbekannte Wesen Kerninflation in der Folge häufiger Erklärungsansatz für das bescheidene Ergebnis der kräftigen Zinsanhebungen. Es dauerte dann immerhin bis zum 13. Mai dieses Jahres, bis das Thema von der Frankfurter Allgemeine Zeitung, die unter den Mainstream-Medien neben dem Handelsblatt über die höchste Kompetenz in Wirtschaftsfragen verfügt, einer genaueren Untersuchung unterzogen wurde. Die Fragestellung ist, ist Kerninflation bedeutend oder nur eine „unscheinbare Messgröße der Statistiknerds“(4).
Der Eindruck der Unscheinbarkeit konnte in dem Beitrag nicht ausgeräumt werden, geschweige denn dass die von der FAZ befragten Expertinnen der EZB die Bedeutung dieser Messgröße überhaupt darlegen konnten. Weder Lagarde noch Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel oder Annette Frühling als erklärte Preisexpertin der Deutschen Bundesbank konnten Licht ins Halbdunkel der wirtschaftswissenschaftlichen Begriffswelt bringen.
Wenn auch die Gesamtinflation sich abgeschwächt habe, so sei der „zugrundeliegende Preisdruck“(4) aber immer noch stark, bekennt Lagarde. „Gemeint ist damit die Kerninflation, plus ein paar weitere Messgrößen“(5). Verantwortlich dafür sieht die Preisexpertin Frühling Industriegüter und Dienstleistungen, wozu sie so unterschiedliche Gruppen zählt wie „etwa die Preise in Restaurants, für Bekleidung, für Pauschalreisen und Kraftwagen“(6). Auf diese glaubt sie, könne die Notenbank größeren Einfluss haben, erläutert diese Behauptung aber nicht.
Gleichzeitig aber schränkt die erklärte Preisexpertin ihre Aussage über die Bedeutung der Industriegüter insofern auch wieder ein, als dass diese nur für ein Drittel der Kerninflation verantwortlich seien. Den Löwenanteil machten die Dienstleistungen aus, wozu Frühling besonders die Lohnkosten zählt.
Das versucht Frühling, damit zu erklären, dass „hohe Lohnabschlüsse als Folge der Inflation ihrerseits die Inflation zu treiben beginnen.“(7), um dann gleich wieder einzuschränken: „Bis jetzt allerdings sieht man davon in den Zahlen für die Entwicklung der Preise einzelner Dienstleistungen in der Verbraucherpreisstatistik noch nicht ganz viel; aber vielleicht ist das auch einfach nur zu früh.“(8)
Anhand der wenig aussagekräftigen Informationen der Expertinnen ergibt die Kerninflation-Theorie kein in sich schlüssiges Bild. Noch weniger scheint sie in der Lage, einen Erklärungsansatz geschweige denn eine Lösung zu bieten für den ungeminderten Preisauftrieb in der Wirklichkeit der meisten Menschen. Es stellt sich die Frage, wie bei so viel Unklarheit so hohe Erwartungen an die Wirkungen einer gebändigten Kerninflation erhoben werden können.
Oder geht es einfach nur um den hilflosen Versuch einer Erklärung, warum die Erwartungen, die nach der Theorie hätten eingetreten sein müssen, sich in der Wirklichkeit nicht erfüllt haben? Denn trotz der Zinserhöhungen, die den Wandel hätten bringen sollen, sind die als Inflation ausgegebenen Preiserhöhungen in der Wirklichkeit nicht den Theorien gefolgt.
Notenbank im Elfenbeinturm
Sinn der höheren Zinsen soll die Bekämpfung der Inflation sein, darum geht es. Aber der Begriff Inflation wird mittlerweile selbst inflationär verwendet. Die einen bezeichnen damit Preisanstiege allgemein(9), andere wieder verwenden ihn für die „Entwertung“ des Geldes. Dazwischen gibt es viele Schattierungen der Anwendung des Begriffs. Als Ursache wird in der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft das Wachstum der Geldmengen angesehen. Wie üblich für diese Zunft machte man das Offensichtliche zur Erklärung.
Offensichtlich aber ist den Wirtschaftswissenschaftlern und Notenbankvertretern entgangen, dass in der Zeit der massiven Ausweitung der Geldmengen zwischen 2008 und 2021 die Inflationsrate kaum gestiegen ist. Vielmehr fiel sie, und die Notenbanken, besonders die Bank von Japan, gaben sich größte Mühe, durch die Ausweitung der Geldmengen für Inflation zu sorgen. Aber entgegen den Theorien der Wirtschaftswissenschaft blieb diese aus, egal wie sehr die Notenbanken ihre Bilanzen aufblähten.
Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine explodierten im Westen die Preise. Was aber als Zusammenhang darstellt wurde, ist ein Trugschluss, denn die Preise besonders für die Energie(10, 11) waren schon 2021 durch den EU-Beschluss zur Bepreisung des Kohlendioxid stark angestiegen. Das wird immer wieder vergessen oder bewusst ausgeklammert, soll aber hier nicht weiter diskutiert werden(9).
Die explodierenden Preise sorgten für Unruhe in der Bevölkerung. Politik und Notenbanken gerieten unter Druck. Die Notenbanken behandelten das Phänomen der als Inflation bezeichneten Preissteigerungen als ein Ergebnis hoher Nachfrage. So war Lagarde beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds in Washington am 14. April dieses Jahres überzeugt, dass „der verzögerte Preisdruck[Kerninflation, Anmerkung d. Verf.] nachlässt und die straffere Geldpolitik zunehmend die Nachfrage dämpft“(12). Preissteigerungen also als Ergebnis von Nachfrage?
Dass Lagarde diese Einschätzung selbst „mit erheblicher Unsicherheit behaftet“(13) sieht, führt sie zurück auf „ein historisch kräftiges Wachstum der Löhne“(14). Die Notenbank-Expertinnen von Lagarde bis Frühling scheinen sich einig, dass hierin die Ursache für die Hartnäckigkeit der Inflation liegt. Das ist aber nichts anderes als der alte Wein namens Lohn-Preis-Spirale im neuen Schlauch der Kerninflation.
Vielleicht aber wissen die Expertinnen nicht, wie das Leben der normalen Menschen aussieht. Von hoher Nachfrage als Preistreiber kann da keine Rede sein. Die Menschen schränken sich aufgrund der Aufschläge gerade für die Dinge des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und Energie immer mehr ein. Der Einzelhandel klagt über zurückgehende Umsätze, weil Kunden nur noch das wirklich Lebensnotwendige kaufen und das sogar immer öfter als Discount-Ware. Allein in Deutschland ist mittlerweile ein Fünftel der Menschen von Armut bedroht, und die Tafeln wissen nicht mehr, wie sie des Ansturms an Bedürftigen Herr werden sollen.
Zielen mit verbundenen Augen
Anscheinend leben die Expertinnen der EZB in einer anderen Welt, in der hohe Preise einzig das Ergebnis hoher Nachfrage zu sein scheinen, und diese bekämpft man am besten mit hohen Zinsen. So lehren es die Wirtschaftswissenschaften. Dass hohe Preise aber auch mit Verknappung zu tun haben können wie beispielsweise den Sanktionen gegenüber russischem Gas, Öl und all den anderen Produkten, die der Westen bisher günstig aus Russland bezogen hatte, scheint vielen sogenannten Wirtschaftsexperten nicht in den Sinn zu kommen.
Das würde aber bedeuten, dass man die aktuelle Politik des Westens gegenüber Russland und der anstehenden Ausweitung der Sanktionen auf Drittstaaten wie China kritisieren müsste. Es ist unklar, ob die Expertinnen der EZB dieses Risiko nicht eingehen wollen oder ob sie durch ihre Wirtschaftstheorien so verblendet sind, dass sie die Wirklichkeit nicht erkennen.
Wenn aber steigende Preise nicht aus hoher Nachfrage sondern aus der Verknappung herrühren, werden Zinssteigerungen daran wenig ändern. So kommen Volkswirte der EZB laut einer eigenen Untersuchung bereits zu der Erkenntnis, dass die Zinserhöhungen „wahrscheinlich im kommenden Jahr ihre größte Wirkung auf die Preise entfalten. … Die dämpfende Wirkung in den Jahren 2023 bis 2025 werde voraussichtlich im Schnitt bei rund zwei Prozentpunkten liegen, wobei die Ergebnisse von drei Modellrechnungen stark differierten. “(15).
Welchen Sinn haben Prognosen mit so hoher Ungenauigkeit und welche praktischen Handlungsmöglichkeiten sollen sich daraus eröffnen? Auf welcher theoretischen Basis werden sie erstellt? Offensichtlich wird die Wirklichkeit nicht als Grundlage genommen. Da wundert es nicht, dass die daraus folgenden Maßnahmen die Treffsicherheit von Schrotmunition haben.
Die Wirklichkeit jedoch besteht darin, dass die derzeitigen Preissteigerungen nicht Ergebnis hoher Nachfrage sind sondern Ergebnis politischer Entscheidungen, die getrieben sind von missionarischem Eifer. Diese Entscheidungen sind die Bepreisung des Kohlendioxid seit 2021 und die Sanktionen gegen Russland. Ob die Beobachtung der Kerninflation gegen Realitätsverweigerung etwas ausrichten kann?
(1) https://www.mehrwertsteuerrechner.de/inflation/kerninflation
(2) inflationsrate-in-deutschland-veraenderung-des-verbraucherpreisindexes-zum-vorjahresmonat/
(3) FAZ 13052023: Phänomen Kerninflation
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) ebenda
(7) ebenda
(8) ebenda
(9) Siehe dazu Rüdiger Rauls: Inflation und Hochwasser
(10) Preis für Heizöl 2021 bis heute
(11) Preis für Flüssiggas 2015 bis Anfang 2022
(12) FAZ vom 15.4.2023: Lagarde zur Kerninflation
(13) ebenda
(14) ebenda
(15) FAZ 16.05.23: Zinserhöhungen wirken erst 2024
Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse
«Der Konflikt in der Ukraine wurde vom Westen angezettelt»
Der tschechische General im Ruhestand Petr Pelz, ehemaliger Direktor des tschechischen Militär-Geheimdienstes, wurde auf dem privaten Radio «Radio Universum» von der bekannten tschechischen Moderatorin Martina Kociánová interviewt. Etliche seiner Aussagen in diesem Interview unterscheiden sich total vom „offiziellen“ Narrativ der NATO-freundlichen Mainstream-Medien, wie der Krieg in der Ukraine entstanden ist. – Achtung: Da das Interview im Radio mündlich gemacht wurde, ist auch das Skript davon gelegentlich etwas gar umgangssprachlich. Aber des Generals brisanteste Aussagen sind trotz allem unmissverständlich.
Einleitung von Martina Kociánová: Der einzig richtige Weg, den Konflikt in der Ukraine zu beenden, ist eine politische Einigung, sagt der chinesische Präsident Xi Jinping. Das sagte er zum Beispiel nach seinem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im April, der eigens nach China geflogen war, um über den Krieg in der Ukraine zu sprechen. Kurz zuvor, im März, stattete der chinesische Präsident Moskau einen dreitägigen Staatsbesuch ab, und schon früher stellte Peking seinen Friedensplan für die Ukraine vor. Doch viele westliche Länder stehen Pekings Vorschlag angesichts der engen Beziehungen zwischen China und Russland skeptisch gegenüber. Wann und unter welchen Bedingungen wird dieser Konflikt enden? Wie wird er die Welt, in der wir leben, verändern? Und wie werden wir nicht nur über diesen Konflikt, sondern über alle wichtigen Entwicklungen um uns herum und in der Welt informiert? In einer Demokratie treffen die Menschen Entscheidungen, aber das A und O für gute Entscheidungen sind zweifellos gute Informationen. Haben wir die?
Ich werde einen der maßgeblichen Experten für militärische Angelegenheiten, aber auch für die Arbeit mit Informationen, befragen: einen ehemaligen Direktor des militärischen Nachrichtendienstes, einen ehemaligen Diplomaten, Botschafter in Afghanistan, und ich möchte Sie (die Zuhörer und Zuhöherinnen, Red.) auch daran erinnern, dass er viereinhalb Jahre lang in New York als Sicherheitsberater des Ständigen Vertreters der Tschechischen Republik bei der UNO gearbeitet hat: General Petr Pelz ist mein Gast.
Fragen und Antworten
Martina Kociánová: Herr General, wir haben wiederholt verbale Scharmützel darüber erlebt, ob wir uns im Krieg befinden oder nicht. Argumente und Pseudoargumente flogen von einer Seite zur anderen. Der Premierminister behauptete, wir befänden uns im Krieg. Dann, nach einer Weile, wurde diese Aussage zur Metapher erklärt. Doch als der Vorsitzende der Oppositionspartei verkündete, er wolle nicht, dass wir in einen Krieg hineingezogen werden, wurde er dafür angegriffen, dass er den Krieg für einen politischen Kampf benutzt. Chaos der Worte, Chaos der Bedeutung – Verwirrung. Sagen Sie mir als Militär- und Sicherheitsexperte, was halten Sie davon? Befinden wir uns im Krieg oder nicht?
Petr Pelz: Ich denke, wir müssen es so angehen, dass wir heute tatsächlich in einer Welt der virtuellen Realität leben und die heutigen politischen Führer im Westen eine Generation sind, die nur Worte, Posen und Metaphern ernst nimmt. Manchmal passt die Metapher also so, manchmal passt die Metapher genau umgekehrt. Wir befinden uns natürlich nicht im Krieg, denn das sähe hier anders aus, und es wäre schwierig, den Menschen all die Opfer zu erklären, die sie auf dem Altar dieses Unternehmens bringen müssten, und damit meine ich jetzt nicht nur direkt in den Krieg zu ziehen und dort zu sterben oder verwundet zu werden, sondern auch wirtschaftlich. Ich schätze, die Steuern müssten erhöht werden und so weiter. Manchmal ist es also praktisch und manchmal nicht, dass wir uns im Krieg befinden.
Martina Kociánová: Aber wenn ich einwerfen darf, ich habe gerade eine Aussage von Ihnen gelesen, dass wir uns angesichts der Art und Weise, wie wir kooperieren, uns an Sanktionen beteiligen, Waffen liefern, ukrainische Soldaten ausbilden, ausbilden, ausbilden, wie man so schön sagt, dass wir uns praktisch im Krieg befinden.
Petr Pelz: Aber genau das wollte ich sagen, als ich „A“ sagte…
Martina Kociánová: Ja.
Petr Pelz: Es war ein A nach dem Komma, oder aber…
Martina Kociánová: Dass wir uns eigentlich offiziell im Krieg befinden, aber…
Petr Pelz: Was die militärische Logik angeht, fürchte ich, dass wir von Russlands Standpunkt aus gesehen, ich will nicht sagen rechtlich, denn die Gesetzgebung ist eine komplizierte Angelegenheit, aber wir sind ein logisches … Wir können unter bestimmten Umständen, wenn jemand im russischen Generalstab beschließt, dass die Ausbildung von Soldaten, die gegen sie kämpfen, vermieden werden sollte – wir können zu einem Kriegsziel werden. Ich denke, und ich spreche hier nicht von internationalem Recht, dass die militärische Logik eine solche Situation herbeiführen kann.
Martina Kociánová: Sagen Sie mir, warum glauben Sie, dass die Worte des Premierministers, „Wir befinden uns im Krieg“, anfangs so stark waren, und warum diese Worte dann in Frage gestellt wurden? Ich denke, das ist eine so starke Aussage, dass wir hier wahrscheinlich jedes Wort abwägen sollten. Haben Sie den Eindruck, dass wir zu sehr mit dem Begriff jonglieren?
Petr Pelz: Auf jeden Fall. Aber ich verstehe den Präsidenten in dieser Frage: Erstens wird der Lebensstandard hier (in der Tschechischen Republik, Red.) drastisch gesenkt, weil wir Teil von, meiner Meinung nach, völlig sinnlosen Sanktionen gegen Russland und andere internationale Organisationen sind, also müssen wir das irgendwie rechtfertigen. Nun, lassen Sie sich nicht überraschen: Die Rentner werden weniger Geld bekommen – wir befinden uns im Krieg. Dann wird jemand vor den Wahlen sagen: „Ziehen Sie uns nicht in den Krieg, ich bin gegen den Krieg.“ Und wenn jemand das sagt, wie in diesem Fall Herr Babiš, dann ist das natürlich falsch, denn wir befinden uns nicht im Krieg, und das nutzt jemand aus. Befinden wir uns also im Krieg oder nicht? Sie fragen sehr gut, aber (für eine Antwort, Red.) sollte der Premierminister hier sitzen.
Martina Kociánová: Nun, wenn wir uns wirklich an das Völkerrecht halten, gibt es so etwas wie eine offizielle Kriegserklärung eines Landes, und in diesem Fall können wir also sagen, dass wir uns nicht im Krieg befinden.
Petr Pelz: Wir befinden uns nicht im Krieg. Aber schauen wir uns zum Beispiel die USA an, die sich seit, ich weiß nicht wie vielen hundert Jahren in Folge, im Krieg befinden. Ich will gar nicht zählen, ich habe mich nicht darauf vorbereitet, aber sie befinden sich permanent in irgendeiner Form im Krieg. Und der letzte Krieg, den der US-Kongress erklärt hat, war der Zweite Weltkrieg. Es wäre also ein zu großer Luxus für die moderne Welt, immer noch von solchen Regeln beherrscht zu werden.
Martina Kociánová: General Peter Pelz, wenn ich Ihre Aussagen, Ihre Interviews oder Ihre Artikel lese, komme ich zu dem Schluss, dass Sie persönlich ein Problem mit diesem Krieg haben, dass Sie nicht damit einverstanden sind. Glauben Sie, dass es auch anders hätte laufen können?
Petr Pelz: Natürlich hätte alles anders laufen können. Sehen wir mal, das erste und das zweite Minsker Abkommen wurden angenommen. Das zweite Minsker Abkommen wurde irgendwann im Februar 2015 angenommen, und dann wurde sogar am 17. Februar 2015 vom UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschiedet, in der die Parteien aufgefordert wurden, unverzüglich einen Waffenstillstand zu schließen. Sie legte sogar für jede Waffe fest, welche Reichweite sie hat, und so sollte eine Pufferzone geschaffen werden, von Steinschleudern, etwa 20 Meter, bis hin zu solchen mit einer Reichweite von mehreren hundert Kilometern, die ausgeräumt werden sollten. Das ukrainische Parlament sollte auf der Grundlage dieser Resolution des Sicherheitsrates – ich wiederhole noch einmal, so eine Resolution ist wahrscheinlich das höchste, was es im internationalen Recht geben kann – innerhalb von 30 Tagen nach dem 17. Februar 2015 ein Gesetz verabschieden, das eine Situation im Donbass in den Republiken oder Gebieten, ich weiß nicht, wie sie es damals rechtlich nannten, geschaffen hätte, so dass dort eine provisorische Regierung gebildet werden konnte, die diese Staaten repräsentiert. Und diese Staaten sollten sprachliche und andere Minderheitenrechte haben, und sie sollten eine gewisse Autonomie haben. Ich wiederhole für die Zuhörer: 30 Tage ab dem 17. Februar 2015. Was wäre passiert, wenn das respektiert worden wäre?
Heute oder vor ein paar Monaten sagten Angela Merkel und Francçois Hollande, der französische Präsident, und Petro Poroschenko, dass dies eigentlich nur eine Art Falle für Putin war, damit die Ukraine sich gut bewaffnen konnte. Ich frage Sie: Warum sollte sich die Ukraine so schrecklich bewaffnen, wenn alles in Ordnung wäre, wenn die östlichen Regionen der Ukraine einfach ihre eigene Verwaltung und Autonomie hätten?
Martina Kociánová: General …
Petr Pelz: Pardon. Kann ich etwas mehr Zeit haben?
Martina Kociánová: Ja, die haben Sie.
Petr Pelz: Ich habe so angefangen und ich wollte sagen, dass dies unser Interesse ist. Ich erinnere mich, ich habe es schon einmal gesagt …
Martina Kociánová: „Das ist unser Interesse.“ Was meinen Sie damit?
Petr Pelz: Die Ukraine als Ganzes zu erhalten und dass sie neutral ist. Wir haben immer gesagt, ich habe es damals sogar vorgeschlagen: „Die Ukraine ist der Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur.“ Und so ist es auch heute noch. Wir leben immer noch in einer Lüge – medial, politisch. Die Ukraine. Was ist die Ukraine? Die Ukraine ist so etwas wie die Schweiz, aber jeder kennt die Schweiz, jeder sagt, sie sei schweizerisch, aber wir alle wissen, dass es (in der Schweiz) Franzosen, Italiener, Deutsche und sogar Rhätoromanen gibt. Aber bei der Ukraine weigern wir uns, sie (die unterschiedlichen Teile) zu anerkennen, obwohl es mindestens deren drei gibt: Die Ostukraine, wo sie mehr oder weniger Russen sind. Dann gibt es die Westukraine, die – ich weiß nicht, was sie sind – aber sie sehen sich als Skandinavier und Deutsche oder ich weiß nicht was. Und dann gibt es da noch die Zentralukraine, die im Grunde genommen die echten Ukrainer sind, die oft Russisch als erste Sprache sprechen, sich aber als Ukrainer fühlen, und die es am schlimmsten erwischt hat. Und dadurch, dass sie diesen Konflikt zugelassen oder ihn sogar verursacht haben, ist die Ukraine heute arm, würde ich sagen, und hört langsam auf, als (eigenständiger) Staat zu existieren. Und die Ärmsten sind eigentlich die in der Mitte, denn die im Osten sind entweder nach Russland gegangen oder sie kämpfen. Und die im Westen, die sich, wie wir es nennen, als Europäer fühlen, jemand anderes nennt sie Nazis, jemand anderes nennt sie integrale Nationalisten, also auch sie kämpfen und sie haben ihr Recht. Und die in der Mitte leiden einfach.
Und wir werden weitermachen, denn was war unser Interesse, unser Interesse erstens als Europa und zweitens unser Interesse als Tschechische Republik? Unser Interesse war es, die Ukraine zu erhalten. Die Russen, was ich damals, als ich dies in den 1990er Jahren erklärte, nicht dachte, aber auch für Russland war die Grundlage eine neutrale Ukraine, denn so haben sie eine Pufferzone. So wie wir die Russen hier fürchten, fürchten die Russen ihrerseits den Westen. Und die Ukraine, die sowohl die Russen als auch den Westen mag, ist eine perfekte Ergänzung. Und die Tatsache, dass es völlig gegensätzliche Ansichten gibt, sorgt dafür, dass die Wahlergebnisse immer mittelmäßig ausfallen wird. Sie sorgt also für Stabilität. Es würde sicherstellen …
Martina Kociánová: Sie haben hier die Minsker Vereinbarungen erwähnt, Sie haben die zweite aus dem Jahr 2015 erwähnt, aber Ihre Gegner in den Medien sagen, dass der von Ihnen erwähnte Waffenstillstand von den russischen Truppen nicht eingehalten wurde, sie kämpften weiter, bis es ihnen gelang, Debalzewe einzunehmen. Dann habe ich auch gelesen, dass auf der Grundlage dieser Vereinbarungen in den abtrünnigen Gebieten Wahlen nach ukrainischem Recht abgehalten werden sollten, was Russland angeblich nicht zuließ, und dass das alles von, sagen wir, russischen, separatistischen Milizen und dergleichen orchestriert wurde. Was halten Sie von diesen Argumenten oder Gegenargumenten?
Petr Pelz: Natürlich war es von den Russen inszeniert, denn die Russen sind dort. Und ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es ein drittes Mal: 30 Tage nach dem 17. Februar hätte es ein ukrainisches Gesetz geben müssen, das sich mit diesem Problem befasst. Es war sicher nicht so, dass die ukrainische Armee, arme, gute Leute, sich zurückzog, sich weigerte zu kämpfen, weil die Regierung es ihnen befahl, und dass die sogenannten Rebellen weiter auf sie einschlugen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass dies nicht der Fall sein kann, denn es ist Unsinn. Und außerdem gibt es Beweise dafür. Beide Seiten haben nicht aufgehört. Aber wer sollte das sicherstellen? Logischerweise hätte die ukrainische Regierung im Auftrag des UN-Sicherheitsrats dafür sorgen müssen.
Martina Kociánová: Eben haben Sie den Satz gesagt: „Wir haben den Konflikt zugelassen“, und dann haben Sie sich korrigiert und gesagt: „Sie haben ihn verursacht.“
Petr Pelz: Sicher, denn wenn die Minsker Vereinbarungen eingehalten worden wären, wie ich sagte, wäre nichts passiert. Aber wir wissen, dass sowohl die Aktionen als auch die verschiedenen Theorien – die erste, die zum Beispiel in der Verteidigungsplanungsrichtlinie von 1992, die von Paul Wolfowitz (in den USA) verfasst wurde, auftauchte, lautete, dass die USA nicht zulassen dürfen, dass ein Rivale, der so mächtig ist wie die Sowjetunion, auf sowjetischem Territorium oder irgendwo anders auftaucht – wenn Sie daran zweifeln, können Sie das nachschlagen. Was dürfen sie nicht zulassen? Und dann gibt es noch andere. Die Rand-Studie von 2019, die gleich in der Überschrift festhält, wie Russland geschwächt werden muss. Die Theorie, dass Russland „entkolonialisiert“ werden muss, was sehr schön ist, d.h. Russland in mehrere Ministaaten aufteilen, die wir kontrollieren können. Wenn die Russen das hören, arrangieren sie sich natürlich auf irgendeine Weise, und das sind die Gründe, die den Krieg verursacht haben.
Aber es gibt auch Gründe, die in der amerikanischen Wirtschaft liegen. Das heißt, dass die USA von drei Oligarchien kontrolliert werden. Das sind also die Gründe, die meiner Meinung nach – manche mögen das anders sehen – zu diesem Krieg geführt haben. Und natürlich kann niemand daran zweifeln, wer der Initiator und der Vollstrecker der sogenannten Revolution (auf dem Maidan) im Februar 2014 war. Dafür gibt es Beweise.
Ich bin pro-westlich, aber der Westen, die USA, wurde (von den Reichsten) übernommen …
Martina Kociánová: Aber Sie wissen, dass die westliche Welt das ganz anders sieht. Nicht alle, aber die meisten Politiker. Nicht alle, aber vielleicht die meisten Bürger, und sicher nicht alle, aber die meisten Journalisten. Sie haben gerade gesagt: „Niemand kann bezweifeln, wer hinter 2014 in der Ukraine steckt.“ Wer dann?
Petr Pelz: Nun, am 13. Dezember 2013 sagte Victoria Nuland im Press Club in New York, dass die USA seit ’91 eine beträchtliche Menge an Geld für die sogenannte Demokratie-Entwicklung ausgegeben haben. Und wie hat sich das dort entwickelt?
Martina Kociánová: Für die Entwicklung der Demokratie in der Ukraine?
Petr Pelz: Ja, in der Ukraine. Und wie ist es dort gelaufen? Nur ganz kurz: Im November 2013 setzte Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union aus, wahrscheinlich weil Russland ihn unter Druck setzte, es nicht zu unterschreiben, und so versuchte er, sich in irgendeiner Weise durchzulavieren. Aber es ist wichtig festzuhalten, dass er das Assoziierungsabkommen ausgesetzt hat. Was hat er oder seine Regierung damit beabsichtigt? Das ist die Frage.
Und dann hatten wir den Februar. Ab November gab es immer wieder Demonstrationen, und am 21. Februar unterzeichneten Radek Sikorski für Polen und Steinmeier für Deutschland sowie Eric Fournier, der Vorsitzende oder Direktor der Osteuropa-Abteilung des französischen Außenministeriums, der Ombudsmann, und der russische Botschafter einen Vertrag, oder ich weiß nicht, ob es ein Vertrag ist, der nicht rechtlich angefochten werden soll, sondern der besagt, dass es hoffentlich im Herbst (vorgezogene) Wahlen geben wird, und dass Janukowitsch bis dahin Präsident bleiben sollte und alles geregelt werden würde. Und noch am selben Abend flieht Janukowitsch aus Kiew, weil es den nationalen Integrationisten – oder Nationalisten – nicht gefällt. Aber wer dahinter steckt, geht aus dem Interview hervor, das durchgesickert ist, oder besser gesagt, von den Russen aufgezeichnet und in die sozialen Netzwerke gestellt wurde. Es soll am 27. oder 28. Januar stattgefunden haben und wurde am 4. Februar, oder wann auch immer, ins Internet gestellt. Es handelte sich um ein Gespräch zwischen Victoria Nuland und Geoffrey Pyatt, dem US-Botschafter in der Ukraine, bei dem es darum ging, wer in der ukrainischen Regierung sitzen soll. Es ist das berühmte Telefongespräch: „Scheiß auf die EU“. Es war also klar.
Und einen Monat vor dem Sturz Janukowitschs wählten Victoria Nuland und der US-Botschafter aus, wer in der Regierung sitzen sollte und wer nicht. Und das ist genau so passiert, wer kann daran zweifeln? Ich möchte hier nicht näher darauf eingehen, wer damals am 20. oder 22. oder wann auch immer auf Menschen geschossen und sie getötet hat – die Scharfschützen. Das möchte ich lieber nicht sagen, aber jeder kann es nachlesen.
Martina Kociánová: Jetzt haben Sie eine Menge Informationen genannt, die nachweisbar sind. Erzählen Sie mir davon: Warum wird es dann, wenn wir dieses Interview ausstrahlen, viele Leute geben, die sagen: „Das stimmt nicht.“ Genauso wie es eine Menge Politiker geben wird, die sagen werden: „Das ist nicht wahr.“ Was kann man tun, um herauszufinden, wo die Wahrheit liegt?
Petr Pelz: Nun, finden Sie es heraus. Aber was soll man tun, nachdem man sich mehrere Jahre lang mit diesen Dingen beschäftigt hat – in meinem Fall? Ich wurde im Westen ausgebildet, ich habe eigentlich die ganze Zeit des Kommunismus in einer Art Widerstand verbracht, obwohl ich kein erklärter Gegner war, aber ich war an der Grenze.
Martina Kociánová: Wenn Sie in der Armee waren, dann…
Petr Pelz: Nein, das war ich nicht. Ich war in der Armee, bis… Ich war Vermessungsingenieur, habe geodätische Astronomie studiert, dann habe ich auf Baustellen gearbeitet und wäre fast wegen der Politik verhaftet worden. Im Sommer 1989 war ich merkwürdigerweise Chefvermesser einer Firma, einer ziemlich großen Baufirma in Prag, was unglaublich ist, also rief ich die Vermesser zusammen und ließ sie ein paar Sätze unterschreiben, die alle unterschrieben haben, bis auf einen. Ich war also auf einer ganz anderen Seite der Barrikade.
Martina Kociánová: Oh. Sie haben also tatsächlich eine Geheimdienstausbildung im Westen absolviert. Das bedeutet, dass Sie logischerweise pro-westlich sein sollten. Und was Sie jetzt sagen…
Petr Pelz: Ich bin pro-westlich, aber der Westen ist (von den Reichsten) übernommen worden. Schauen Sie sich an, wie die Wahlen in den USA aussehen. Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, spendet ein Zehntel eines Promilles, die Reichsten, 57 Prozent (der Spenden) an Politiker, die dann in den Kongress kommen.
Martina Kociánová: Tut mir leid, ich habe Sie missverstanden. Ein Zehntel wovon?
Petr Pelz: Ein Zehntel eines Promille.
Martina Kociánová: Ein Promille?
Petr Pelz: Es gibt 57 Prozent aller Spenden an Politiker, die gewählt werden. Vielleicht ist eine Statistik ein wenig anders, also lassen Sie es 10 Prozent anders sein. Und ich stelle den Zuhörern die Frage: Wenn sie sagen, dass das nicht stimmt, dann sollen sie A finden, und B: Würden die Reichen das tun, wenn es sich nicht lohnen würde? Und deshalb sage ich, dass ich pro-westlich bin. Es tut mir trotzdem leid, und die Ukrainer tun mir leid, und die verbliebenen Amerikaner, deren Land (von den Reichsten) übernommen wurde, tun mir leid.
Martina Kociánová: Haben Sie deshalb vorhin gesagt, wenn ich es richtig aufgenommen habe, dass die USA von drei Oligarchien kontrolliert werden?
Petr Pelz: Ja.
Martina Kociánová: Darf ich nach Namen fragen?
Petr Pelz: Das sind keine Namen, aber sie heißen FIRE: Finance, Insurance, and Real Estate (Finanz-, Versicherungs- und Immobiliensektor), dann MIC: Military Industrial Complex (militärisch-industrieller Komplex) und OGAM, was für Oil, Gas und Mining (Öl, Gas und Bergbau) steht. Und die daheim, wie gesagt, auf diese Weise vorgehen und den Kongress kontrollieren und die Präsidentschaftswahlen. Und was ihnen aus den Händen geglitten ist, war Trump. Trump ist unkontrollierbar, und deshalb mögen sie ihn auch – er ist nicht geeignet, Präsident zu sein.
Martina Kociánová: Und ich werde jetzt ein bisschen pingelig sein. Sie sagten: „Lassen Sie die Leute nachschlagen, dass 53 Prozent der…“
Petr Pelz: Vielleicht sind es 50 oder 40. Ich weiß es nicht.
Martina Kociánová: Die Spenden an die Politiker stammen aus diesen, sagen wir, finanziellen Top-Gruppen. Aber ich nehme an, Sie können das nicht nachverfolgen?
Petr Pelz: Das kann man.
Martina Kociánová: Das sind doch meist geheime Informationen.
Petr Pelz: Nein, das ist…
Martina Kociánová: Nicht viele Parteien können das zugeben…
Petr Pelz: Nein, es gibt ein Gesetz, das besagt, dass sie es zugeben müssen. In Amerika ist es nämlich genau andersherum. Dort brüsten sie (die Reichen) sich im Gegenteil damit. Denn je mehr Spenden sie sammeln, desto mehr…
Martina Kociánová: Er hat die Unterstützung von…
Petr Pelz: Er hat mehr Unterstützung und er ist größer. Aber diese Unterstützung kommt von diesen Oligarchien, und sie richten sich gegen die Grundlagen des Marktkapitalismus. Sie gehen eine Symbiose ein: der Staat, die großen Konzerne, die Medien. Heute ist alles in ihrer Macht. Es sind der Staat, die Wirtschaft, die Medien, die Unterhaltung. Das ist das schreckliche Problem.
Martina Kociánová: Deshalb sagen Sie auch, dass Amerika übernommen worden ist.
Petr Pelz: Ich weiß, es sieht schrecklich aus, aber das erklärt alles.
Martina Kociánová: Werfen wir einen Blick auf die verarmte Ukraine im Moment. Sagen Sie mir, mit der militärischen Geheimdienst-Erfahrung, die Sie haben, und auch mit der diplomatischen Erfahrung: Wie sollte die Tschechische Republik den Krieg in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt angehen? Und was sollte sie jetzt tun?
Petr Pelz: Das geht jetzt natürlich zu weit. Die Interessen der Tschechischen Republik sind ein bisschen eine Teilmenge der Interessen Europas und der ganzen Welt im Allgemeinen und natürlich der Ukraine. Und wieder sitzen wir in der Falle, dass wir „die Ukraine“ sagen. Welche also? Östlich? Zentral? Westlich? Ich habe es gleich zu Beginn gesagt: Wir brauchen Frieden. Es sollte keinen Krieg geben. Und um Himmels willen, angesichts der schrecklichen Verluste und der schrecklichen Zerstörung in der Ukraine sollten die Kämpfe sofort aufhören, in dieser Sekunde.
Die Frage ist, wer das will. Ob Russland es will, ist die Frage. Ob die USA es wollen, ist die Frage. Was Europa will, so habe ich leider das Gefühl, ist völlig irrelevant, völlig irrelevant, denn Europa verhält sich so, dass es sich überhaupt nicht um Europa schert. Ich wiederhole also vor allem, dass die Kämpfe sofort eingestellt werden müssen.
Martina Kociánová: Wer hat Ihrer Meinung nach ein Interesse daran, dass der Krieg in der Ukraine weitergeht? Das unermessliche Leid der Menschen und die wirtschaftliche Zerstörung weiter zu verlängern?
Petr Pelz: Das Problem ist nur, dass ich das Gefühl habe, dass diese Kräfte, von denen ich in den USA spreche (die drei Oligarchien), abgesehen von ihrem eigenen Wunsch, etwas im Sinne einer größtmöglichen Schwächung Russlands zu tun, mir ziemlich inkompetent erscheinen, denn eigentlich schwächt das, was jetzt geschieht, Europa. Die USA werden bisher nicht geschwächt, aber Europa wird sehr schnell geschwächt, indem es sich an Sanktionen beteiligt, die im Grunde genommen sinnlos sind.
Martina Kociánová: Die Frage, die ich Ihnen zu Beginn gestellt habe, lautete: Wer hat Ihrer Meinung nach ein Interesse daran, dass dieser Krieg weitergeht?
Petr Pelz: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer zu beantworten, denn es gibt Theorien, dass die Amerikaner… Ich denke, es muss eine große Meinungsverschiedenheit geben. Es gibt eine Gruppe von Leuten um Präsident Biden: Juke Sullivan, Victoria Nuland und so weiter, die am enthusiastischsten sind. Ich denke, dass einige Signale und Anzeichen aber darauf hindeuten, dass es sogar in den Geheimdienstkreisen eine wachsende Opposition gegen sie gibt. Seymour Hersh deutet in seinem Material darüber, wer Nordstream 2 in die Luft gejagt hat, darauf hin, dass die Geheimdienste von dieser Tat ziemlich frustriert waren, und auch das aktuelle Leck, das gerade aktuell ist, wird im Grunde genommen so erklärt. Die Frage, wer ein Interesse an dieser Sache hat, ist also einfach und logisch, aber die Antwort ist komplex.
Und der Standpunkt Russlands? Das ist schwer zu sagen. Ich denke, unter bestimmten Umständen würden auch sie sofort verhandeln. Ein weiteres Indiz dafür, dass das alles nicht passiert wäre, ist die Tatsache, dass Russland, als es letztes Jahr am 23. oder 24. Februar in die Ukraine einmarschierte, ziemlich schnell nach Westen vordrang und dass dann Ende März und Ende April Vereinbarungen getroffen wurden oder weit fortgeschrittene Gespräche stattfanden, die von den Weißrussen und den Türken vermittelt wurden und in der Türkei stattfanden. Und beide Präsidenten, sowohl Putin als auch Selenskyj, haben gesagt, dass sie bereit wären, ein Abkommen zu unterzeichnen. Aber Verhandlungen wurden von den Amerikanern und von den Briten grundsätzlich abgelehnt. Ich meine, Boris Johnson kam angereist und sagte Selenskyj, dass sie und der Westen sofort aufhören würden, ihn zu unterstützen, falls er unterzeichnete. Und seither hat das mehrere hunderttausend Menschen das Leben gekostet.
Zum Original in tschechischer Sprache: Script und Radioprogramm.
Zu Petr Pelz: Geboren 1953. Von 1996 bis 2001 Direktor des militärischen Geheimdienstes der Tschechischen Republik. Von 2002 bis 2006 in New York als Sonder-Sicherheitsberater des tschechischen Botschafters bei den Vereinten Nationen. In den Jahren 2006-2007 Berater des CZ-Verteidigungsministers in Fragen des Geheimdienstes und der Außenbeziehungen. Von 2010 bis 2013 CZ-Botschafter in Afghanistan.
Anerkennung des Donbass
Präsident Putins komplette Rede an die Nation im Wortlaut
Ich werde nicht viel vorweg sagen, denn Putins Rede war ungewöhnlich lang und dauerte fast eine Stunde, entsprechend lang ist auch dieser Artikel mit der Übersetzung der Rede.
Da vielleicht nicht jeder die Rede komplett lesen wird, fasse ich kurz zusammen, worum es in der Rede ging. Zunächst hat Putin einen historischen Exkurs gemacht und ist auf die Entstehung der Ukraine eingegangen. Allerdings war das Haupthema dieses Exkurses nicht einmal die Ukraine, sondern eher die Fehler der früheren politischen Führer des Landes, die am Ende zur Entstehung der Situation geführt haben, in der Russland und die Ukraine nun sind. Putin geht dabei übrigens – entgegen den ständig wiederholten Behauptungen westlicher Medien – sehr hart mit der Sowjetunion und namentlich mit Lenin und Stalin ins Gericht, was ganz nebenbei viele Behauptungen westlicher Medien über Putins angebliches sowjet-nostalgisches Weltbild Lügen straft.
Putin schlägt in seiner Rede einen weiten Bogen und spricht sowohl über die unglückliche Entwicklung der Ukraine nach ihrer Unabhängigkeit, denn das Land wird seit 1990 von einigen wenigen Oligarchen ausgepresst und ist vor allem nach dem Maidan extrem verarmt. Putin kritisiert – wie immer – die Machthaber in der Ukraine, hat aber offenes Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine, die unter den Zuständen in dem Land leiden müssen.
Putin kommt auch auf die aktuellen Verhandlungen mit den USA über gegenseitige Sicherheitsgarantien zu sprechen und erklärt Russlands Position dazu noch einmal ausführlich. Und er macht klar, dass Russlands Geduld am Ende ist und es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder echte Gespräche unter ehrlicher Berücksichtigung der russischen Sicherheitsinteressen, oder eine russische Reaktion, die von den Offiziellen in Moskau als „militär-technisch“ bezeichnet wird.
Erst ganz am Ende der Rede teilt Putin, fast schon nebenbei, mit, dass er die Donbass-Republiken nun anerkennt und mit ihnen Verträge über Zusammenarbeit und Schutz abschließen wird. Er beendet die Rede mit einer deutlichen Warnung an Kiew, die Feindseligkeiten sofort einzustellen, oder selbst die für die Folgen weiterer Feindseligkeiten die Verantwortung zu übernehmen.
Putin scheint sehr wütend zu sein und die Rede war emotional, auch wenn der Text das nicht wieder gibt. Dass Putin offensichtlich sehr wütend ist, zeigte sich auch bei der Unterzeichnung der Vereinbarungen mit den Donbass-Republiken, die direkt im Anschluss an die Rede übertragen wurde. So kurz angebunden wie dabei, habe ich Putin noch nie bei keinem feierlichen Anlass gesehen.
Damit genug der Vorrede, es folgt die Übersetzung der kompletten Rede, denn sie auf Deutsch zu veröffentlichen, halte ich für wichtig, weil der Spiegel schon einen ersten Desinformations-Artikel über das gebracht hat, was Putin nach Meinung von Christian Esch, dem Leiter des Spiegel-Büros in Moskau, gesagt haben soll. Daher können Sie hier nachlesen, was Putin wirklich gesagt hat.
Beginn der Übersetzung:
Verehrte Bürger Russlands! Liebe Freunde!
Das Thema meiner Rede sind die Ereignisse in der Ukraine und warum das so wichtig für uns, für Russland ist. Meine Rede richtet sich natürlich auch an unsere Mitbürger in der Ukraine.
Ich werde mich ausführlich und detailliert äußern müssen. Das Problem ist sehr ernst.
Die Lage im Donbass ist erneut kritisch und akut geworden. Und heute wende ich mich direkt an Sie, nicht nur um zu bewerten, was geschieht, sondern auch um Sie über die Entscheidungen, die getroffen werden, und mögliche weitere Schritte in dieser Richtung zu informieren.
Ich möchte noch einmal betonen, dass die Ukraine für uns nicht nur ein Nachbarland ist. Sie ist ein integraler Bestandteil unserer eigenen Geschichte, Kultur und unseres spirituellen Raums. Das sind unsere Freunde, unsere Verwandten, nicht nur Kollegen, Freunde und ehemalige Arbeitskollegen, sondern auch unsere Verwandten und engen Familienmitglieder.
Seit ältesten Zeiten nennen sich die Bewohner der südwestlichen historischen Gebiete des alten Russlands Russen und orthodoxe Christen. So war es auch im 17. Jahrhundert, als ein Teil dieser Gebiete mit dem russischen Staat wiedervereinigt wurde, und auch danach war das so.
Es scheint uns, dass wir das im Prinzip alle wissen, dass wir über bekannte Tatsachen sprechen. Um jedoch zu verstehen, was heute geschieht, um die Motive des russischen Handelns und die Ziele, die wir uns gesetzt haben, zu erklären, ist es notwendig, zumindest ein paar Worte über die Geschichte des Themas zu verlieren.
Lassen Sie mich also mit der Tatsache beginnen, dass die moderne Ukraine vollständig von Russland geschaffen wurde, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann fast unmittelbar nach der Revolution von 1917, und Lenin und seine Mitstreiter taten das auf sehr grobe Weise mit Russland selbst – durch Sezession, indem sie Teile seiner eigenen historischen Territorien abtrennten. Natürlich hat niemand die Millionen von Menschen, die dort lebten, nach irgendetwas gefragt.
Dann, vor und nach dem Großen Vaterländischen Krieg, annektierte bereits Stalin einige Gebiete, die zuvor zu Polen, Rumänien und Ungarn gehörten, an die UdSSR und übertrug sie der Ukraine. Als eine Art Entschädigung gab Stalin Polen einige der angestammten deutschen Gebiete, und 1954 nahm Chruschtschow Russland aus irgendeinem Grund die Krim weg und gab sie der Ukraine. Auf diese Weise entstand das Gebiet der sowjetischen Ukraine.
Aber jetzt möchte ich besonders auf die Anfangszeit der Gründung der UdSSR eingehen. Ich denke, das ist für uns sehr wichtig. Wir werden, wie man so schön sagt, aus der Ferne beginnen müssen.
Ich möchte daran erinnern, dass die Bolschewiki nach dem Oktoberputsch von 1917 und dem anschließenden Bürgerkrieg mit dem Aufbau eines neuen Staatswesens begannen, und dass es zwischen ihnen recht heftige Meinungsverschiedenheiten gab. Stalin, der 1922 die Ämter des Generalsekretärs des Zentralkomitees der RKP und des Volkskommissars für Nationalitäten in Personalunion bekleidete, schlug vor, das Land nach den Grundsätzen der Autonomisierung aufzubauen, also den Republiken – den künftigen administrativ-territorialen Einheiten – bei ihrem Beitritt zum Einheitsstaat weitreichende Befugnisse zu übertragen.
Lenin kritisierte diesen Plan und schlug vor, den Nationalisten, wie er sie damals nannte, Zugeständnisse zu machen – den „Unabhängigen“. Genau das waren Lenins Vorstellungen von einer im Wesentlichen konföderativen Staatsstruktur und dem Recht der Völker auf Selbstbestimmung bis hin zur Sezession, die die Grundlage der sowjetischen Staatlichkeit bildeten: zunächst 1922 in der Erklärung über die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und dann, nach Lenins Tod, in der Verfassung der UdSSR von 1924.
Hier stellen sich sofort viele Fragen. Und die erste von ihnen ist eigentlich die wichtigste: Warum war es notwendig, irgendwelche grenzenlos wachsenden nationalistischen Ambitionen an den Rändern des ehemaligen Reiches zu befriedigen? Die Übertragung riesiger, oft willkürlich gebildeter Verwaltungseinheiten, die Unionsrepubliken, die oft keinen Bezug zu dem Gebiet hatten. Ich wiederhole: Sie wurden zusammen mit der Bevölkerung des historischen Russlands übertragen.
Darüber hinaus erhielten diese Verwaltungseinheiten faktisch den Status und die Form nationaler staatlicher Einheiten. Wieder einmal frage ich mich: Warum war es notwendig, so großzügige Geschenke zu machen, von denen die glühendsten Nationalisten vorher nicht einmal zu träumen wagten, und darüber hinaus den Republiken das Recht einzuräumen, sich ohne jegliche Bedingungen vom Einheitsstaat abzuspalten?
Auf den ersten Blick ist das völlig unverständlich, das ist Wahnsinn. Aber das ist nur auf den ersten Blick so. Dafür gibt es eine Erklärung. Nach der Revolution bestand die Hauptaufgabe der Bolschewiki darin, die Macht zu erhalten, und zwar um jeden Preis. Dafür haben sie alles getan: sie haben die erniedrigenden Bedingungen des Brester Vertrages zu einer Zeit akzeptiert, als sich das kaiserliche Deutschland und seine Verbündeten in der schwierigsten militärischen und wirtschaftlichen Lage befanden und der Ausgang des Ersten Weltkrieges eigentlich schon vorherbestimmt war, und sie sind allen Forderungen, allen Wünschen der Nationalisten im Inneren des Landes nachgekommen.
Im Hinblick auf das historische Schicksal Russlands und seiner Völker waren die leninistischen Prinzipien des Staatsaufbaus nicht nur ein Fehler, sondern weitaus schlimmer als ein Fehler. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 wurde das absolut offensichtlich.
Natürlich können die Ereignisse der Vergangenheit nicht geändert werden, aber wir müssen zumindest direkt und ehrlich, ohne Vorbehalte und ohne politische Färbung über sie sprechen. Ich kann nur hinzufügen, dass die Erwägungen der aktuellen politischen Konjunktur, so spektakulär und vorteilhaft sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auch erscheinen mögen, unter keinen Umständen die Grundlage für die Grundprinzipien der Staatlichkeit bilden sollten oder können.
Ich will jetzt niemanden beschuldigen, die Situation im Land zu dieser Zeit und nach dem Bürgerkrieg, vor dem Bürgerkrieg, war unglaublich schwierig und kritisch. Ich möchte heute nur sagen, dass es genau so war. Das ist eine historische Tatsache. Wie ich bereits gesagt habe, führte die bolschewistische Politik zur Entstehung der Sowjetukraine, die auch heute noch zu Recht als „Wladimir-Lenin-Ukraine“ bezeichnet werden kann. Er war ihr Autor und Architekt. Das wird durch Dokumente in den Archiven vollständig bestätigt, einschließlich Lenins strenger Direktiven für den Donbass, der buchstäblich in die Ukraine hineingepresst wurde. Und nun haben die „dankbaren Nachkommen“ Lenin-Denkmäler in der Ukraine abgerissen. Sie nennen das Entkommunisierung. (Anm. d. Übers.: „Entkommunisierung“ meint die Tilgung von allem, was an den Kommunismus erinnert, ähnlich wie die Entnazifizierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg)
Sie wollen entkommunisieren? Nun, für uns ist das vollkommen in Ordnung. Aber Sie sollten nicht, wie man so schön sagt, auf halbem Weg stehen bleiben. Wir sind bereit, Ihnen zu zeigen, was eine echte Entkommunisierung für die Ukraine bedeutet.
Um auf die Geschichte zurückzukommen, wiederhole ich, dass die UdSSR 1922 auf dem Gebiet des ehemaligen Russischen Reiches gegründet wurde. Das Leben selbst jedoch zeigte sofort, dass es unmöglich war, ein so großes und komplexes Gebiet zu erhalten oder es nach den vorgeschlagenen amorphen, quasi konföderativen Prinzipien zu regieren. Sie waren völlig losgelöst von der Realität und der historischen Tradition.
Es ist nur logisch, dass der Rote Terror und der rasche Übergang zur stalinistischen Diktatur, die Vorherrschaft der kommunistischen Ideologie und das Machtmonopol der Kommunistischen Partei, die Verstaatlichung und das Planwirtschaftssystem in der Praxis die erklärten, aber nicht umsetzbaren Prinzipien der Staatlichkeit zu einer bloßen Erklärung, einer Formalität gemacht haben. In Wirklichkeit hatten die Unionsrepubliken keinerlei Souveränitätsrechte, diese Rechte existierten einfach nicht. In der Praxis wurde ein streng zentralisierter, völlig einheitlicher Staat geschaffen.
Stalin hat in der Tat nicht Lenins, sondern seine ganz eigenen Vorstellungen von Staatlichkeit in die Praxis umgesetzt. Aber er hat keine entsprechenden Änderungen in den systemischen Dokumenten, in der Verfassung des Landes vorgenommen, hat die verkündeten leninistischen Prinzipien des Aufbaus der UdSSR nicht formell überdacht. Offensichtlich gab es dafür keinen Grund – alles funktionierte unter dem totalitären Regime und es sah an der Oberfläche sehr schön, attraktiv und sogar superdemokratisch aus.
Dennoch ist es sehr schade, dass die abscheulichen, utopischen, von der Revolution inspirierten, aber für ein normales Land absolut zerstörerischen Fantasien nicht umgehend von den grundlegenden, formell legalen Fundamenten, auf denen unsere gesamte Staatlichkeit aufgebaut wurde, entfernt wurden. Niemand hat, wie es bei uns früher so oft der Fall war, an die Zukunft gedacht.
Die Führer der Kommunistischen Partei schienen davon überzeugt zu sein, dass es ihnen gelungen war, ein solides Regierungssystem zu bilden und dass sie die nationale Frage durch ihre Politik endgültig gelöst hatten. Aber die Verfälschungen, Veränderungen von Begriffen, Manipulation des öffentlichen Bewusstseins und Täuschung waren kamen teuer zu stehen. Der Bazillus des nationalistischen Ehrgeizes war nicht verschwunden, und die ursprüngliche Mine, die gelegt worden war, um die Immunität des Staates gegen die Ansteckung durch den Nationalismus zu untergraben, wartete nur darauf, zu explodieren. Diese Landmine, ich wiederhole das, war das Recht, sich von der UdSSR abzuspalten.
Mitte der 80er Jahre verschärfte sich vor dem Hintergrund wachsender sozioökonomischer Probleme und einer offensichtlichen Krise der Planwirtschaft die nationale Frage, deren Kern, wie immer, nicht die Erwartungen und unerfüllten Sehnsüchte der Völker der Union waren, sondern in erster Linie der wachsende Appetit der lokalen Eliten.
Doch anstatt die Situation gründlich zu analysieren und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, vor allem in der Wirtschaft, sowie eine allmähliche, durchdachte und bewusste Umgestaltung des politischen Systems und der staatlichen Struktur vorzunehmen, beschränkte sich die KPdSU-Führung darauf, das leninistische Prinzip der nationalen Selbstbestimmung in Worte zu fassen.
Als sich der Machtkampf in der Kommunistischen Partei selbst entfaltete, begann jede der gegnerischen Seiten, um ihre Unterstützungsbasis zu verbreitern, rücksichtslos nationalistische Gefühle anzuregen, zu fördern und mit ihnen zu spielen, indem sie ihren potenziellen Anhängern versprach, was immer sie wünschten. Inmitten einer oberflächlichen und populistischen Rhetorik über Demokratie und eine strahlende Zukunft, die auf der Grundlage einer Markt- oder Planwirtschaft aufgebaut wurde, aber unter den realen Bedingungen der Verarmung und des totalen Defizits, dachte niemand an der Macht an die unvermeidlichen tragischen Folgen für das Land.
Und dann folgten sie dem ausgetretenen Pfad der Befriedigung der Ambitionen nationalistischer Eliten, die in ihren eigenen Parteireihen genährt wurden, und vergaßen dabei, dass die KPdSU – Gott sei Dank – nicht mehr über solche Instrumente wie Staatsterror und eine Diktatur nach Art Stalins verfügte, um die Macht und das Land selbst zu erhalten. Und so verschwand selbst die berüchtigte Führungsrolle der Partei selbst wie ein Morgennebel spurlos vor ihren Augen.
Im September 1989 verabschiedete das Plenum des Zentralkomitees der KPdSU ein im Grunde verhängnisvolles Dokument – die so genannte nationale Politik der Partei unter modernen Bedingungen, die KPdSU-Plattform. Sie enthielt folgende Bestimmungen, ich zitiere: „Die Unionsrepubliken haben alle Rechte, die ihrem Status als souveräne sozialistische Staaten entsprechen.“
Eine weitere Klausel lautete: „Die obersten repräsentativen Machtorgane der Unionsrepubliken können die Erlasse und Anordnungen der Unionsregierung in ihrem Hoheitsgebiet anfechten und aussetzen.“
Und schließlich: „Jede Unionsrepublik hat ihre eigene Staatsbürgerschaft, die für alle ihre Einwohner gilt.“
War es denn nicht offensichtlich, wozu solche Formulierungen und Entscheidungen führen würden?
Dies ist weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, um Fragen des Staats- oder Verfassungsrechts zu erörtern und den Begriff der Staatsbürgerschaft zu definieren. Dennoch stellt sich die Frage: Warum musste das Land unter diesen ohnehin schon schwierigen Umständen noch weiter erschüttert werden?
Schon zwei Jahre vor dem Zusammenbruch der UdSSR war ihr Schicksal praktisch besiegelt. Jetzt reklamieren die Radikalen und Nationalisten, auch und vor allem in der Ukraine, die Erreichung der Unabhängigkeit für sich. Wie wir sehen, ist das ganz und gar nicht der Fall. Der Zusammenbruch unseres einigen Landes wurde durch historische, strategische Fehler der bolschewistischen Führer, der Führung der KPdSU, verursacht, die zu verschiedenen Zeiten beim Staatsaufbau, in der Wirtschafts- und Nationalpolitik gemacht wurden. Sie haben den Zusammenbruch des historischen Russlands, das den den Namen UdSSR trug, auf dem Gewissen.
Trotz all dieser Ungerechtigkeiten, des Betrugs und des offenen Ausraubens Russlands hat unser Volk die neuen geopolitischen Realitäten anerkannt, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR entstanden sind, hat die neuen unabhängigen Staaten anerkannt. Und nicht nur das – Russland selbst, das sich zu dieser Zeit in einer sehr schwierigen Situation befand, half seinen GUS-Partnern, einschließlich seiner ukrainischen Kollegen, von denen bereits zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung zahlreiche Ersuchen um materielle Unterstützung eingingen. Und unser Land hat diese Unterstützung unter Wahrung der Würde und Souveränität der Ukraine geleistet.
Nach Expertenschätzungen, die durch eine einfache Berechnung der Preise für Energieträger bestätigt werden, betrug das Volumen der Vorzugskredite und der Wirtschafts- und Handelspräferenzen, die Russland der Ukraine gewährt hat, sich für den ukrainischen Haushalt von 1991 bis 2013 auf etwa 250 Milliarden Dollar.
Aber das ist noch lange nicht alles. Ende 1991 beliefen sich die Schuldverpflichtungen der UdSSR gegenüber dem Ausland und internationalen Fonds auf rund 100 Milliarden Dollar. Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass diese Kredite von allen ehemaligen Sowjetrepubliken im Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Potenzial solidarisch zurückgezahlt werden würden. Russland übernahm jedoch die gesamten sowjetischen Schulden und zahlte sie in voller Höhe zurück. Es hat diesen Prozess 2017 abgeschlossen.
Im Gegenzug sollten die neuen unabhängigen Staaten auf ihren Teil des sowjetischen Auslandsvermögens verzichten und im Dezember 1994 wurden entsprechende Vereinbarungen mit der Ukraine getroffen. Kiew ratifizierte diese Abkommen jedoch nicht und weigerte sich später einfach, es umzusetzen. Es erhob Anspruch auf den Diamantenfonds, die Goldreserve sowie Eigentum und andere Vermögenswerte der ehemaligen UdSSR im Ausland.
Doch trotz der bekannten Probleme hat Russland immer offen, ehrlich und – ich wiederhole das – unter Wahrung seiner Interessen mit der Ukraine zusammengearbeitet, und unsere Beziehungen haben sich in einer Vielzahl von Bereichen entwickelt. So betrug der bilaterale Handelsumsatz im Jahr 2011 mehr als 50 Milliarden US-Dollar. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Handelsvolumen der Ukraine mit allen EU-Ländern im Jahr 2019, also noch vor der Pandemie, unter dieser Zahl lag.
Dabei springt es ins Auge, dass die ukrainischen Regierungen es vorzogen, so zu handeln, dass sie in den Beziehungen zu Russland alle Rechte und Vorteile, aber keine Verpflichtungen hatten.
Anstelle von Partnerschaft herrschte Abhängigkeit, die von den offiziellen Stellen in Kiew zuweilen geradezu als Kavaliersdelikt empfunden wurde. Es genügt, an die ständige Erpressung im Bereich des Energietransits und den banalen Diebstahl von Gas zu erinnern. (Anm. d. Übers.: Details der Gaskonflikte Vergangenheit, auf die Putin hier anspielt, finden Sie hier)
Ich sollte noch hinzufügen, dass Kiew versucht hat, den Dialog mit Russland als Vorwand zu nutzen, um mit dem Westen zu verhandeln, ihn mit einer Annäherung an Moskau zu erpressen und Vorteile für sich zu gewinnen: mit der Begründung, dass sonst der russische Einfluss in der Ukraine zunehmen würde.
Gleichzeitig haben die ukrainischen Regierungen von Anfang an, das möchte ich betonen, von den ersten Schritten an damit begonnen, ihre Staatlichkeit auf der Leugnung all dessen aufzubauen, was uns verbindet, sie haben versucht, das Bewusstsein und das historische Gedächtnis von Millionen von Menschen, ganzer Generationen, die in der Ukraine leben, zu entstellen. Es überrascht nicht, dass die ukrainische Gesellschaft mit dem Aufkommen des extremen Nationalismus konfrontiert wurde, der schnell die Form von aggressiver Russophobie und Neonazismus annahm. Daher die Beteiligung ukrainischer Nationalisten und Neonazis an Terrorbanden im Nordkaukasus und die immer lauter werdenden territorialen Ansprüche gegenüber Russland.
Die ausländischen Kräfte, die ein ausgedehnte Netz von NGOs und Geheimdiensten genutzt haben, um ihre Klientel in der Ukraine zu pflegen und ihre Vertreter an die Macht zu bringen, haben ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen.
Es ist auch wichtig zu verstehen, dass es in der Ukraine im Grunde nie eine stabile Tradition echter Staatlichkeit gegeben hat. Seit 1991 ist sie den Weg der mechanischen Kopie fremder Modelle gegangen, losgelöst von ihrer Geschichte und der ukrainischen Realität. Die politischen Institutionen des Staates wurden ständig umgestaltet, um den rasch aufstrebenden Clans mit ihren eigenen Interessen zu dienen, die nichts mit den Interessen der ukrainischen Bevölkerung gemeinsam haben.
Der Sinn der sogenannten pro-westlichen zivilisatorischen Entscheidung der ukrainischen Oligarchen war und ist nicht, bessere Bedingungen für das Wohlergehen des Volkes zu schaffen, sondern den geopolitischen Rivalen Russlands unterwürfig zu dienen, um Milliarden von Dollar, die den Ukrainern gestohlen und von den Oligarchen auf westlichen Bankkonten gebunkert wurden, zu retten.
Einige industrielle Finanzgruppen, die Parteien und Politiker übernommen haben, stützten sich zunächst auf Nationalisten und Radikale. Andere gaben Lippenbekenntnisse zu guten Beziehungen zu Russland und zur kulturellen und sprachlichen Vielfalt ab und kamen mit den Stimmen von Bürgern an die Macht, die solche Bestrebungen von ganzem Herzen unterstützten, darunter Millionen aus dem Südosten des Landes. Doch sobald sie im Amt waren, verrieten sie sofort ihre Wähler, ließen ihre Wahlversprechen fallen und setzten eine Politik auf Geheiß der Radikalen um, wobei sie manchmal ihre ehemaligen Verbündeten verfolgten – jene Organisationen der Zivilgesellschaft, die für Zweisprachigkeit und Zusammenarbeit mit Russland eintraten. Sie machten sich die Tatsache zunutze, dass die Menschen, die sie unterstützten, in der Regel gesetzestreu und gemäßigt in ihren Ansichten sind und daran gewöhnt sind, der Regierung zu vertrauen.
Die Radikalen wiederum wurden immer unverschämter und ihre Forderungen wuchsen von Jahr zu Jahr. Es fiel ihnen nicht schwer, einer schwachen Regierung, die selbst mit dem Virus des Nationalismus und der Korruption infiziert war, immer wieder ihren Willen aufzuzwingen und die wahren kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen des Volkes und die wirkliche Souveränität der Ukraine geschickt durch verschiedene Arten von Spekulationen mit nationalen Begründungen und fremden ethnografischen Merkmalen zu ersetzen.
In der Ukraine gibt es immer noch keine dauerhafte Staatlichkeit und die politischen Wahlverfahren dienen nur als Deckmantel, als Projektionsfläche für die Umverteilung von Macht und Eigentum zwischen verschiedenen Oligarchenclans.
Die Korruption, die zweifellos für viele Länder, auch für Russland, eine Herausforderung und ein Problem darstellt, hat in der Ukraine einen besonderen Charakter angenommen. Sie hat die ukrainische Staatlichkeit, das gesamte System, alle Zweige der Macht buchstäblich imprägniert und korrodiert. Radikale nutzten die berechtigte Unzufriedenheit der Menschen aus, sattelten auf den Protest auf und führten den Maidan 2014 zu einem Staatsstreich. Dabei erhielten sie direkte Unterstützung aus dem Ausland. Die materielle Unterstützung des so genannten Protestcamps auf dem Maidan in Kiew durch die US-Botschaft betrug unseren Informationen zufolge eine Million Dollar pro Tag. Weitere sehr hohe Beträge wurden dreist direkt auf die Bankkonten der Oppositionsführer überwiesen. Und wir sprachen von mehreren Dutzend Millionen Dollar. Und wie viel haben die, die tatsächlich verletzt wurden, die Familien derjenigen, die bei den Zusammenstößen auf den Straßen und Plätzen von Kiew und anderen Städten ums Leben gekommen sind, am Ende bekommen? Danach sollte man besser nicht fragen.
Die Radikalen, die an die Macht kamen, organisierten eine Verfolgung, einen regelrechten Terror gegen diejenigen, die sich gegen verfassungsfeindliche Maßnahmen aussprachen. Politiker, Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wurden misshandelt und öffentlich gedemütigt. Die ukrainischen Städte wurden von einer Welle von Pogromen und Gewalt überrollt, einer Reihe von spektakulären und ungesühnten Morden. Die schreckliche Tragödie in Odessa, bei der friedliche Demonstranten im Gewerkschaftshaus brutal ermordet und lebendig verbrannt wurden, lässt einen erschaudern. Die Verbrecher, die diese Gräueltat begangen haben, sind nicht bestraft worden und niemand sucht nach ihnen.
Aber wir kennen ihre Namen und werden alles tun, um sie zu bestrafen, sie zu finden und vor Gericht zu stellen.
Der Maidan hat die Ukraine der Demokratie und dem Fortschritt nicht näher gebracht. Mit dem Staatsstreich führten die Nationalisten und die sie unterstützenden politischen Kräfte die Situation endgültig in die Sackgasse und stießen die Ukraine in den Abgrund des Bürgerkriegs. Acht Jahre nach diesen Ereignissen ist das Land gespalten. Die Ukraine befindet sich in einer akuten sozioökonomischen Krise.
Nach Angaben internationaler Organisationen waren 2019 fast sechs Millionen Ukrainer, ich betone, etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, nicht der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, gezwungen, auf der Suche nach Arbeit ins Ausland zu gehen. In der Regel handelt es sich dabei um Gelegenheitsjobs. Auch die folgende Tatsache ist bezeichnend: Seit 2020 haben mehr als 60.000 Ärzte und anderes Gesundheitspersonal das Land während der Pandemie verlassen.
Seit 2014 haben sich die Wassertarife um fast ein Drittel erhöht, die Strompreise um ein Mehrfaches und die Gaspreise um das Zehnfache. Viele Menschen haben einfach nicht das Geld, um die Nebenkosten zu bezahlen, sie müssen buchstäblich überleben.
Was ist passiert? Warum geschieht das alles? Die Antwort liegt auf der Hand: Es liegt daran, dass die Mitgift, die nicht nur aus der Sowjetära, sondern auch aus dem Russischen Reich stammt, vergeudet und veruntreut wurde. Zehn- und Hunderttausende von Arbeitsplätzen, die den Menschen ein stabiles Einkommen boten, auch durch die enge Zusammenarbeit mit Russland, und Steuern in die Staatskasse brachten, gingen verloren. Industriezweige wie Maschinenbau, Instrumentenbau, Elektronik, Schiffbau und Flugzeugbau liegen entweder brach oder sind zerstört, während sie früher der Stolz nicht nur die Ukraine, sondern der gesamten Sowjetunion waren.
Im Jahr 2021 wurde die Tschernomorskij-Werft in Mykolajiw, in der zu Zeiten Katharinas II. die ersten Schiffswerften gebaut wurden, stillgelegt. Der berühmte Antonow-Konzern hat seit 2016 kein einziges Serienflugzeug mehr produziert, und das auf die Herstellung von Raketen- und Raumfahrtausrüstung spezialisierte Juschmasch-Werk steht ebenso wie das Stahlwerk Krementschuk kurz vor dem Bankrott. Diese traurige Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Das Gastransportsystem, das von der gesamten Sowjetunion aufgebaut wurde, ist so marode, dass sein Betrieb mit großen Risiken und Umweltrisiken behaftet ist.
Und das wirft die Frage auf: Sind Armut, Hoffnungslosigkeit, Verlust des industriellen und technologischen Potenzials die Wahl der pro-westlichen Zivilisation, die Millionen von Menschen jahrelang getäuscht und ihnen das Paradies versprochen hat?
In der Pracis ist es darauf hinausgelaufen, dass der Zusammenbruch der ukrainischen Wirtschaft mit einer regelrechten Ausplünderung der Bürger einhergeht, während die Ukraine selbst einfach unter ausländische Verwaltung gestellt wird. Das geschieht nicht nur auf Anweisung westlicher Hauptstädte, sondern auch vor Ort durch ein ganzes Netz ausländischer Berater, NGOs und anderer Institutionen, die sich in der Ukraine breit gemacht haben. Sie haben direkten Einfluss auf alle wichtigen Personalentscheidungen, auf alle Zweige und Ebenen der Regierung, von der Zentralregierung bis zu den Kommunen, auf die wichtigsten staatlichen Unternehmen und Konzerne, darunter Naftogaz, Ukrenergo, die Ukrainische Eisenbahn, Ukroboronprom (die Verteidigungsindustrie), Ukrposhta (die Post) und die ukrainische Seehafenverwaltung.
In der Ukraine gibt es einfach keine unabhängigen Gerichte. Auf Ersuchen des Westens räumte die Kiewer Regierung Vertretern internationaler Organisationen das vorrangige Recht ein, die Mitglieder der höchsten Justizorgane – des Justizrats und der Richterqualifikationskommission – auszuwählen.
Darüber hinaus kontrolliert die US-Botschaft direkt die Nationale Agentur für Korruptionsprävention, das Nationale Antikorruptionsbüro NABU, die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft und das Oberste Antikorruptionsgericht. All dies geschieht unter dem plausiblen Vorwand, die Korruptionsbekämpfung effektiver zu gestalten. Gut, fein, aber wo sind die Ergebnisse? Die Korruption steht in voller Blüte und gedeiht besser als je zuvor.
Sind den Ukrainern selbst all diese Methoden ihrer Verwaltung bekannt? Ist ihnen klar, dass ihr Land nicht nur einfach unter einem politischem und wirtschaftlichem Protektorat steht, sondern auf das Niveau einer Kolonie mit einem Marionettenregime reduziert wurde? Die Privatisierung des Staates hat dazu geführt, dass die Regierung die sich selbst als „Macht der Patrioten“ bezeichnet, ihren nationalen Charakter verloren hat und konsequent die vollständige Entsouveränisierung des Landes verfolgt.
Die Ent-Russifizierung und Zwangsassimilierung gehen weiter. Die Werchowna Rada erlässt unablässig mehr und mehr diskriminierende Gesetze, und ein Gesetz über die so genannten einheimischen Völker ist bereits in Kraft. Menschen, die sich als Russen verstehen und ihre Identität, ihre Sprache und ihre Kultur bewahren möchten, haben die klare Botschaft erhalten, dass sie in der Ukraine fremd sind.
Nach den Gesetzen über die Bildung und das Funktionieren der ukrainischen Sprache als Staatssprache ist das Russische aus den Schulen, aus allen öffentlichen Bereichen bis hin zu gewöhnlichen Geschäften verbannt. Das Gesetz über die so genannte Lustration, die „Säuberung“ der Macht, ermöglichte es, unliebsame Beamte zu entlassen.
Gesetze, die den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden Anlass zur rigorosen Unterdrückung der Meinungsfreiheit und abweichender Meinungen sowie zur Verfolgung der Opposition geben, werden gezüchtet. Die traurige Praxis einseitiger illegitimer Sanktionen gegen andere Staaten, ausländische natürliche und juristische Personen ist weltweit bekannt. Die Ukraine hat ihre westlichen Kuratoren übertrumpft und ein solches Instrument wie Sanktionen gegen ihre eigenen Bürger, Unternehmen, Fernsehsender, andere Medien und sogar Parlamentsmitglieder erfunden.
Auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats wird in Kiew weiterhin massakriert. Und das ist keine emotionale Einschätzung, sondern konkrete Entscheidungen und Dokumente belegen das. Die ukrainische Regierung hat die Tragödie der Kirchenspaltung auf zynische Weise zu einem Instrument der Staatspolitik gemacht. Die derzeitige Führung des Landes reagiert nicht auf die Bitten der Bürger der Ukraine, die Gesetze aufzuheben, die die Rechte der Gläubigen verletzen. Außerdem wurden in der Rada neue Gesetzesentwürfe gegen den Klerus und Millionen von Gemeindemitgliedern der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats registriert.
Ich möchte gesondert auf die Krim zu sprechen kommen. Die Menschen auf der Halbinsel haben sich aus freien Stücken für die Zugehörigkeit zu Russland entschieden. Die Regierung in Kiew hat diesem klaren und eindeutigen Willen des Volkes nichts entgegenzusetzen und setzt daher auf aggressive Aktionen, auf die Aktivierung extremistischer Zellen, einschließlich radikal-islamischer Organisationen, auf die Entsendung subversiver Gruppen zur Durchführung von Terroranschlägen auf kritische Infrastrukturen und zur Entführung russischer Bürger. Wir haben direkte Beweise dafür, dass solche aggressiven Aktionen mit der Unterstützung ausländischer Geheimdienste durchgeführt werden.
Im März 2021 hat die Ukraine eine neue Militärstrategie verabschiedet. Dieses Dokument ist fast ausschließlich der Konfrontation mit Russland gewidmet und zielt darauf ab, ausländische Staaten in einen Konflikt mit unserem Land zu ziehen. Die Strategie sieht vor, auf der Krim und im Donbass eine Art terroristischen Untergrund aufzubauen. Sie umreißt auch die Konturen des zu erwartenden Krieges, der nach Ansicht der heutigen Strategen in Kiew – ich zitiere ab hier – „mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu für die Ukraine günstigen Bedingungen“ enden soll. Und auch, wie sich Kiew heute ausdrückt, und ich zitiere auch hier, hören Sie bitte genauer hin „mit der militärischen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in einer geopolitischen Konfrontation mit der Russischen Föderation.“ Im Grunde genommen ist das nichts anderes als die Vorbereitung einer militärischen Aktion gegen unser Land – gegen Russland.
Wir wissen auch, dass es bereits Erklärungen gegeben hat, dass die Ukraine ihre eigenen Atomwaffen entwickeln wird, und das ist keine leere Angeberei. Die Ukraine verfügt über sowjetische Nukleartechnologie und die Mittel zum Einsatz solcher Waffen, darunter Flugzeuge und Tochka-U-Raketen, ebenfalls sowjetischer Bauart, mit einer Reichweite von mehr als 100 Kilometern. Aber die werden sie erhöhen, das ist nur eine Frage der Zeit. Es gibt Know-how aus der Sowjetzeit.
So wird es für die Ukraine viel einfacher sein, in den Besitz taktischer Atomwaffen zu gelangen als für einige andere Staaten – ich will sie jetzt nicht nennen -, die solche Entwicklungen tatsächlich durchführen, vor allem, wenn sie technologische Unterstützung aus dem Ausland erhält. Und auch das dürfen wir nicht ausschließen.
Wenn die Ukraine in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kommt, wird sich die Lage in der Welt, in Europa, insbesondere für uns, für Russland, dramatisch verändern. Wir können nicht anders als auf diese reale Gefahr zu reagieren, vor allem darauf, dass die westlichen Schirmherren das Auftauchen solcher Waffen in der Ukraine erleichtern könnten, um eine weitere Bedrohung für unser Land zu schaffen. Wir können sehen, wie hartnäckig das Kiewer Regimes mit Waffen vollgepumpt wird. Allein die Vereinigten Staaten haben seit 2014 Milliarden von Dollar für diesen Zweck bereitgestellt, darunter Waffen, Ausrüstung und Spezialtraining. In den letzten Monaten sind ständig westliche Waffen in die Ukraine geflossen, demonstrativ und vor den Augen der ganzen Welt. Die ukrainischen Streitkräfte und Geheimdienste werden von ausländischen Beratern geführt, das ist uns wohl bekannt.
In den letzten Jahren haben sich Militärkontingente aus NATO-Ländern unter dem Vorwand von Übungen fast ständig auf ukrainischem Gebiet aufgehalten. Das Kommando- und Kontrollsystem der ukrainischen Truppen wurde bereits in die NATO-Truppen integriert. Das bedeutet, dass das Kommando über die ukrainischen Streitkräfte, auch über einzelne Einheiten und Untereinheiten, direkt vom NATO-Hauptquartier aus ausgeübt werden kann.
Die USA und die NATO haben damit begonnen, das ukrainische Territorium schamlos als Schauplatz möglicher Kriege zu erschließen. Die regelmäßigen gemeinsamen Übungen sind eindeutig anti-russisch ausgerichtet. Allein im letzten Jahr waren mehr als 23.000 Soldaten und mehr als tausend Stück Militärtechnik daran beteiligt.
Es wurde bereits ein Gesetz über die Zulassung von Streitkräften aus anderen Ländern auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine im Jahr 2022 verabschiedet, um an multinationalen Übungen teilzunehmen. Es ist klar, dass wir in erster Linie über die NATO-Truppen sprechen. Für dieses Jahr sind mindestens zehn solcher gemeinsamen Manöver geplant.
Es liegt auf der Hand, dass solche Ereignisse als Deckmantel für die rasche Aufrüstung des NATO-Militärverbands in der Ukraine dienen. Dies gilt umso mehr, als das mit Hilfe der Amerikaner ausgebaute Netz von Flugplätzen – Boryspil, Iwano-Frankiwsk, Tschugujew, Odessa und so weiter – die Verlegung von Militäreinheiten in kürzester Zeit gewährleisten kann. Der ukrainische Luftraum ist offen für Flüge von amerikanischen strategischen Bombern und Aufklärungsflugzeugen und Drohnen, die zur Überwachung des russischen Territoriums eingesetzt werden.
Ich möchte hinzufügen, dass das von den Amerikanern errichtete Maritime Operations Center in Otschakow es ermöglicht, die Aktionen der NATO-Schiffe zu unterstützen, einschließlich ihres Einsatzes von Präzisionswaffen gegen die russische Schwarzmeerflotte und unsere Infrastruktur an der gesamten Schwarzmeerküste.
Einst wollten die USA ähnliche Einrichtungen auf der Krim errichten, doch die Krimbewohner und die Einwohner von Sewastopol durchkreuzten diese Pläne. Daran werden wir uns immer erinnern.
Ich wiederhole, heute wird ein solches Zentrum eingerichtet, es wurde bereits in Otschakow eingerichtet. Ich möchte Sie daran erinnern, dass im 18. Jahrhundert Soldaten von Alexander Suworow für diese Stadt gekämpft haben. Ihrem Mut ist es zu verdanken, dass sie ein Teil Russlands wurde. Zur gleichen Zeit, im 18. Jahrhundert, wurden die Schwarzmeerländer, die infolge der Kriege mit dem Osmanischen Reich an Russland angegliedert worden waren, Noworossija genannt. Heute sind diese Meilensteine der Geschichte ebenso in Vergessenheit geraten wie die Namen von Staatsmännern des Russischen Reiches, ohne deren Wirken viele große Städte und sogar der Zugang zum Schwarzen Meer in der modernen Ukraine nicht existieren würden.
Vor kurzem wurde das Denkmal für Alexander Suworow in Poltawa abgerissen. Was soll man dazu sagen? Sie leugnen Ihre eigene Vergangenheit? Aus dem so genannten kolonialen Erbe des russischen Imperiums? Nun, dann seid hier konsequent.
Weiter. Ich möchte darauf hinweisen, dass Artikel 17 der ukrainischen Verfassung die Einrichtung ausländischer Militärstützpunkte auf dem ukrainischen Staatsgebiet nicht zulässt. Es stellte sich jedoch heraus, dass das nur eine Konvention ist, die leicht umgangen werden kann.
Die NATO-Staaten haben Ausbildungsmissionen in die Ukraine entsandt. In der Tat handelt es sich bereits um ausländische Militärstützpunkte. Die nennen die Stützpunkte einfach „Mission“ und sie ist eingetütet.
Kiew hat seit langem einen strategischen Kurs in Richtung NATO-Mitgliedschaft verkündet. Ja, natürlich hat jedes Land das Recht, sein eigenes Sicherheitssystem zu wählen und Militärbündnisse einzugehen. Und das wäre auch alles so, wenn es nicht ein „aber“ gäbe. In den internationalen Dokumenten ist ausdrücklich der Grundsatz der gleichen und unteilbaren Sicherheit verankert, der bekanntlich die Verpflichtung beinhaltet, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten zu stärken. Ich kann hier auf die 1999 in Istanbul verabschiedete OSZE-Charta für europäische Sicherheit und die OSZE-Erklärung von Astana 2010 verweisen.
Mit anderen Worten: Die Wahl der Sicherheit darf keine Bedrohung für andere Staaten darstellen und der Beitritt der Ukraine zur NATO ist eine direkte Bedrohung für die Sicherheit Russlands.
Ich erinnere daran, dass die USA im April 2008 auf dem Bukarester Gipfel des Nordatlantischen Bündnisses die Entscheidung durchgesetzt haben, dass die Ukraine und übrigens auch Georgien Mitglieder der NATO werden. Viele europäische Verbündete der USA waren sich bereits aller Risiken einer solchen Perspektive bewusst, mussten sich aber dem Willen ihres Seniorpartners beugen. Die Amerikaner haben sie einfach dazu benutzt, eine eindeutig anti-russische Politik zu verfolgen.
Eine Reihe von Mitgliedstaaten des Bündnisses stehen einem NATO-Beitritt der Ukraine schon jetzt sehr skeptisch gegenüber. Gleichzeitig erhalten wir ein Signal aus einigen europäischen Hauptstädten, das besagt: „Worüber macht ihr euch Sorgen? Es wird nicht buchstäblich morgen passieren.“ Tatsächlich sprechen auch unsere amerikanischen Partner darüber. „Gut“, sagen wir, „nicht morgen, aber übermorgen. Was ändert sich dadurch in der historischen Perspektive? Im Grunde genommen nichts.“
Mehr noch, uns sind der Standpunkt und die Worte der Führung der Vereinigten Staaten bekannt, dass die aktiven Feindseligkeiten in der Ostukraine die Möglichkeit eines NATO-Beitritts dieses Landes nicht ausschließen, wenn es die Kriterien des Nordatlantischen Bündnisses erfüllen und die Korruption besiegen kann.
Dennoch versuchen sie immer wieder, uns davon zu überzeugen, dass die NATO ein friedliebendes und rein defensives Bündnis ist. Sie sagen, dass es keinerlei Bedrohung für Russland gibt. Wieder einmal schlagen sie vor, dass wir uns auf ihr Wort verlassen. Aber wir kennen den wahren Wert dieser Worte. Als 1990 die Frage der deutschen Wiedervereinigung erörtert wurde, wurde der sowjetischen Führung von den Vereinigten Staaten zugesagt, dass die Zuständigkeit und die militärische Präsenz der NATO nicht einen Zoll nach Osten ausgedehnt werden würden. Und dass die deutsche Wiedervereinigung nicht zu einer Ausdehnung der militärischen Organisation der NATO nach Osten führen würde. Das ist ein Zitat.
Sie haben geredet, mündliche Zusicherungen gemacht, und es hat sich alles als leeres Geräusch herausgestellt. Später wurde uns versichert, dass die NATO-Mitgliedschaft der mittel- und osteuropäischen Länder die Beziehungen zu Moskau nur verbessern, diesen Ländern die Angst vor dem schwierigen historischen Erbe nehmen und darüber hinaus einen Gürtel russland-freundlicher Staaten schaffen würde.
Das exakte Gegenteil ist eingetreten. Die Regierungen einiger osteuropäischer Länder, die mit ihrer Russophobie hausieren gingen, brachten ihre Komplexe und Stereotypen über die russische Bedrohung in das Bündnis ein und bestanden auf dem Aufbau kollektiver Verteidigungsfähigkeiten, die in erster Linie gegen Russland eingesetzt werden sollten. Und das geschah in den 1990er und frühen 2000er Jahren, als sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen dank der Offenheit und unseres guten Willens auf einem hohen Niveau befanden.
Russland hat alle seine Verpflichtungen erfüllt, einschließlich des Truppenabzugs aus Deutschland und aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, und leistete damit einen großen Beitrag zur Überwindung des Erbes des Kalten Krieges. Wir haben stets verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit angeboten, auch im Rahmen des NATO-Russland-Rates und der OSZE.
Mehr noch, ich werde jetzt etwas sagen, was ich noch nie öffentlich gesagt habe, ich werde es zum ersten Mal sagen. Im Jahr 2000, als der scheidende US-Präsident Bill Clinton Moskau besuchte, fragte ich ihn: „Was würde Amerika davon halten, Russland in die NATO aufzunehmen?“
Ich werde nicht alle Einzelheiten dieses Gesprächs preisgeben, aber die Reaktion auf meine Frage sah nach außen hin, sagen wir, sehr zurückhaltend aus, und wie die Amerikaner tatsächlich auf diese Möglichkeit reagierten, sieht man an ihren praktischen Schritten gegenüber unserem Land. Dazu gehören die offene Unterstützung von Terroristen im Nordkaukasus, eine ablehnende Haltung gegenüber unseren Forderungen und Sicherheitsbedenken im Bereich der NATO-Erweiterung, der Ausstieg aus dem ABM-Vertrag über das Verbot einer Raketenabwehr und so weiter. Da fragt man sich: Warum? Wozu das alles? Gut, Sie wollen uns nicht als Freund und Verbündeten sehen, aber warum müssen Sie einen Feind aus uns machen?
Es gibt nur eine Antwort: Es liegt nicht an unserem politischen Regime oder an etwas anderem, sie brauchen einfach kein so großes unabhängiges Land wie Russland. Das ist die Antwort auf alle Fragen. Sie ist die Quelle der traditionellen amerikanischen Russlandpolitik. Daher auch die Einstellung zu allen unseren Sicherheitsvorschlägen.
Heute genügt ein Blick auf die Landkarte, um zu sehen, wie die westlichen Staaten ihr Versprechen, die NATO nicht nach Osten auszudehnen, „eingehalten“ haben. Sie haben uns einfach betrogen. Wir haben fünf Erweiterungswellen der NATO erlebt, eine nach der anderen. Im Jahr 1999 wurden Polen, die Tschechische Republik und Ungarn in das Bündnis aufgenommen. 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. 2009 Albanien und Kroatien. 2017 Montenegro und 2020 Nordmazedonien.
Im Ergebnis ist das Bündnis mit seiner militärischen Infrastruktur direkt an die Grenzen Russlands gekommen. Das war eine der Hauptursachen für die Euro-Sicherheitskrise und hat sich sehr negativ auf das gesamte System der internationalen Beziehungen ausgewirkt und zu dem Verlust des gegenseitigen Vertrauens geführt.
Die Lage verschlechtert sich weiter, auch im strategischen Bereich. So werden beispielsweise in Rumänien und Polen im Rahmen des US-Projekts zur globalen Raketenabwehr Stellungen für Raketenabwehrraketen eingerichtet. Es ist bekannt, dass die dort platzierten Abschussrampen für Tomahawk-Marschflugkörper, also für offensive Angriffssysteme, verwendet werden können. (Anm. d. Übers.: Details dazu finden Sie hier)
Darüber hinaus entwickeln die USA die universelle Standard-6-Rakete, die nicht nur die Probleme der Luft- und Raketenabwehr löst, sondern auch See- und Landziele treffen kann. Mit anderen Worten: Das vermeintlich defensive US-Raketenabwehrsystem wird erweitert und es entstehen neue offensive Fähigkeiten.
Die uns vorliegenden Informationen geben uns allen Grund zu der Annahme, dass der Beitritt der Ukraine zur NATO und die anschließende Stationierung von NATO-Einrichtungen in diesem Land eine ausgemachte Sache sind; es ist nur eine Frage der Zeit. Uns ist klar, dass in einem solchen Szenario die militärische Bedrohung Russlands um ein Vielfaches zunehmen wird. Und ich weise besonders darauf hin, dass die Gefahr eines Überraschungsangriffs auf unser Land um ein Vielfaches steigen wird.
Ich möchte klarstellen, dass die amerikanischen strategischen Planungsdokumente – es sind offiziellen Dokumente! – die Möglichkeit eines so genannten Präventivschlags gegen feindliche Raketensysteme vorsehen. Und wir wissen auch, wer der Hauptgegner der USA und der NATO ist. Es ist Russland. In den NATO-Dokumenten wird unser Land offiziell direkt zur Hauptbedrohung der euro-atlantischen Sicherheit erklärt. Und die Ukraine wird als Sprungbrett für einen solchen Schlag dienen. Wenn unsere Vorfahren das hören würden, würden sie es wahrscheinlich nicht glauben. Und wir wollen es heute nicht glauben, aber es ist wahr. Ich möchte, dass das sowohl in Russland als auch in der Ukraine verstanden wird.
Viele ukrainische Flugplätze liegen in der Nähe unserer Grenzen. Die hier stationierten taktischen NATO-Flugzeuge, darunter auch hochpräzise Waffenträger, werden in der Lage sein, unser Gebiet bis zur Linie Wolgograd – Kasan – Samara – Astrachan zu treffen. Die Stationierung von Radaraufklärungsgeräten auf ukrainischem Gebiet wird es der NATO ermöglichen, den russischen Luftraum bis zum Ural streng zu kontrollieren.
Nachdem die Vereinigten Staaten den Vertrag über Kurz- und Mittelstreckenraketen gebrochen haben, entwickelt das Pentagon bereits offen eine Reihe von bodengestützten Angriffswaffen, darunter ballistische Raketen, die Ziele in einer Entfernung von bis zu 5.500 Kilometern erreichen können. Wenn solche Systeme in der Ukraine eingesetzt werden, können sie Ziele im gesamten europäischen Gebiet Russlands sowie jenseits des Urals treffen. Tomahawk-Marschflugkörper bräuchten weniger als 35 Minuten, um Moskau zu erreichen, 7 bis 8 Minuten für ballistische Raketen aus der Region Charkow und 4 bis 5 Minuten für Hyperschallraketen. Das nennt man, das Messer an der Kehle zu haben. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie diese Pläne genauso umsetzen werden, wie sie es in den vergangenen Jahren immer wieder getan haben, indem sie die NATO nach Osten ausdehnen und militärische Infrastruktur und Ausrüstung an die russischen Grenzen verlagern, wobei sie unsere Bedenken, Proteste und Warnungen völlig ignorieren. Nach dem Motto: Entschuldigen Sie, die sind uns wurscht und wir tun, was immer wir wollen, was immer wir für richtig halten.
Und natürlich wird auch erwartet, dass wir uns weiterhin gemäß dem bekannten Sprichwort verhalten: „Der Hund bellt, aber die Karawane zieht weiter.“ Ich sage sofort, dass wir dem nicht zugestimmt haben und niemals zustimmen werden. Gleichzeitig war und ist Russland immer dafür, die komplexesten Probleme mit politischen und diplomatischen Mitteln am Verhandlungstisch zu lösen.
Wir sind uns unserer großen Verantwortung für die regionale und globale Stabilität bewusst. Bereits 2008 hat Russland eine Initiative zum Abschluss eines Europäischen Sicherheitsvertrags vorgelegt. Die Kernaussage war, dass kein Staat und keine internationale Organisation im euro-atlantischen Raum seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer stärken kann. Unser Vorschlag wurde jedoch von Anfang an abgelehnt: Man konnte nicht zulassen, dass Russland die Aktivitäten der NATO einschränkt.
Mehr noch: Uns wurde ausdrücklich gesagt, dass nur Mitglieder des Nordatlantischen Bündnisses rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien haben können.
Im vergangenen Dezember haben wir unseren westlichen Partnern den Entwurf eines Vertrags zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten von Amerika über Sicherheitsgarantien sowie den Entwurf eines Abkommens über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Russischen Föderation und der NATO-Mitgliedstaaten übermittelt.
Die Antwort der Vereinigten Staaten und der NATO bestand aus vielen gemeinsamen Worten. Es gab zwar einige vernünftige Punkte, doch ging es dabei um zweitrangige Themen, und es sah aus wie ein Versuch, die Diskussion in eine andere Richtung abzulenken.
Wir haben dementsprechend geantwortet und betont, dass wir bereit sind, den Weg der Verhandlungen zu gehen, allerdings unter der Bedingung, dass alle Fragen als Paket, als Ganzes betrachtet werden, ohne sie von den grundlegenden russischen Vorschlägen zu trennen. Und diese enthalten drei wichtige Punkte. Der erste ist die Verhinderung einer weiteren NATO-Erweiterung. Der zweite ist die Weigerung, dem Bündnis die Stationierung von Angriffswaffensystemen an den Grenzen Russlands zu gestatten. Und schließlich die Rückführung der militärischen Fähigkeiten und der Infrastruktur des Blocks in Europa auf den Stand von 1997, als die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet wurde.
Genau diese unsere prinzipiellen Vorschläge wurden ignoriert. Unsere westlichen Partner haben, ich wiederhole es, wieder einmal die abgedroschene Formulierung geäußert, dass jeder Staat das Recht hat, frei zu entscheiden, wie er seine Sicherheit gewährleistet und sich beliebigen Militärbündnissen und Allianzen anschließen kann. Mit anderen Worten: An ihrem Standpunkt hat sich nichts geändert und es wird immer wieder auf die berüchtigte „Politik der offenen Tür“ der NATO verwiesen. Außerdem versuchen sie, uns erneut zu erpressen, indem sie uns erneut mit Sanktionen drohen, die sie übrigens sowieso in dem Maße verhängen werden, in dem Russlands Souveränität und die Macht unserer Streitkräfte zunehmen. Und ein Vorwand für einen weiteren Sanktionsangriff wird immer gefunden oder einfach erfunden, unabhängig von der Lage in der Ukraine. Das Ziel ist das gleiche – die Entwicklung Russlands zu unterdrücken. Und sie werden es tun, wie sie es schon früher getan haben, sogar ohne jeglichen formalen Vorwand, weil wir unsere Souveränität, unsere nationalen Interessen und unsere Werte niemals gefährden werden.
Ich möchte klar und deutlich sagen, dass Russland in der gegenwärtigen Situation, in der unsere Vorschläge für einen gleichberechtigten Dialog über grundsätzliche Fragen von den Vereinigten Staaten und der NATO praktisch unbeantwortet geblieben sind, in der das Ausmaß der Bedrohungen für unser Land erheblich zunimmt, jedes Recht hat, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten. Genau das werden wir tun.
Was die Lage im Donbass betrifft, so sehen wir, dass die Führungsspitze in Kiew ständig öffentlich erklärt, dass sie nicht bereit ist, das Minsker Maßnahmenpaket zur Beilegung des Konflikts umzusetzen, und dass sie nicht an einer friedlichen Lösung interessiert ist. Im Gegenteil, sie versuchen erneut, einen Blitzkrieg im Donbass zu organisieren, wie sie es bereits 2014 und 2015 getan haben. Wir erinnern uns noch, wie diese Abenteuer damals endeten.
Jetzt vergeht praktisch kein Tag mehr, an dem nicht Städte und Dörfer im Donbass beschossen werden. Eine große Gruppe von Truppen setzt ständig Angriffsdrohnen, schweres Gerät, Raketen, Artillerie und Mehrfachraketenerfer ein. Die Tötung von Zivilisten, die Blockade, die Misshandlung von Menschen, einschließlich Kindern, Frauen und älteren Menschen, geht unvermindert weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Und die sogenannte zivilisierte Welt, zu deren einzigen Vertretern sich unsere westlichen Kollegen selbst ernannt haben, zieht es vor, das nicht zur Kenntnis zu nehmen, als gäbe es diesen ganzen Horror, den Genozid, dem fast 4 Millionen Menschen ausgesetzt sind, nicht, und das nur, weil diese Menschen mit dem vom Westen unterstützten Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 nicht einverstanden waren und sich der gesteigerten staatlichen Bewegung hin zu einem höhlenartigen und aggressiven Nationalismus und Neonazismus widersetzten. Und sie kämpfen für ihre elementaren Rechte: in ihrem eigenen Land zu leben, ihre eigene Sprache zu sprechen, ihre Kultur und Traditionen zu bewahren.
Wie lange kann diese Tragödie noch andauern? Wie lange können wir das noch ertragen? Russland hat alles getan, um die territoriale Integrität der Ukraine zu wahren, und hat all die Jahre hart und geduldig für die Umsetzung der Resolution 2202 des UN-Sicherheitsrats vom 17. Februar 2015 gekämpft, in der das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 zur Lösung der Lage im Donbass verankert ist.
Alles umsonst. Präsidenten und Abgeordnete der Rada wechseln, aber das Wesen und der aggressive, nationalistische Charakter des Regimes, das in Kiew die Macht übernommen hat, ändert sich nicht. Er ist ausschließlich ein Produkt des Staatsstreichs von 2014 und diejenigen, die den Weg der Gewalt, des Blutvergießens und der Gesetzlosigkeit eingeschlagen haben, haben keine andere Lösung für die Donbass-Frage als eine militärische anerkannt und werden dies auch in Zukunft nicht tun.
In diesem Zusammenhang halte ich es für notwendig, eine längst überfällige Entscheidung zu treffen: die Unabhängigkeit und Souveränität der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk unverzüglich anzuerkennen.
Ich bitte die Bundesversammlung der Russischen Föderation, diese Entscheidung zu unterstützen und dann die Verträge über Freundschaft und gegenseitigen Beistand mit beiden Republiken zu ratifizieren. Diese beiden Dokumente werden in naher Zukunft ausgearbeitet und unterzeichnet.
Und von denen, die in Kiew die Macht übernommen haben und halten, fordern wir die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten. Andernfalls wird die Verantwortung für die mögliche Fortsetzung des Blutvergießens ausschließlich auf dem Gewissen des Regimes lasten, das das Gebiet der Ukraine regiert.
Bei der Bekanntgabe der heute gefassten Beschlüsse vertraue ich auf die Unterstützung der Bürger Russlands und aller patriotischen Kräfte des Landes.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ende der Übersetzung
Der Untergang des Abendlandes: Oswald Spengler in der heutigen Welt

Von Oscar Silva-Valladares
Der deutsche Geschichtsphilosoph Oswald Spengler schrieb 1922, dass sich die jahrhundertealte westeuropäisch-amerikanische Zivilisation in allen Erscheinungsformen des Lebens einschließlich Religion, Kunst, Politik, sozialem Leben, Wirtschaft und Wissenschaft in einem permanenten und unwiederbringlichen Niedergang befindet. Für ihn zeigte sich die politische, soziale und ideologische Dimension dieses Niedergangs im Versagen der westlichen politischen Klasse auf beiden Seiten des Atlantiks.
Er sah Politiker, die meist in Großstädten lebten, verzehrt von Ideologie und Verachtung gegenüber stillen Mehrheiten und beschrieb sie als „eine neue Art von Nomaden, die instabil in fließenden Massen zusammenschlüpfen, der parasitäre Stadtbewohner, traditionslos, völlig sachlich, religionslos, klug, unfruchtbar und zutiefst verachtend gegenüber dem Landsmann“. Heutzutage entspricht die in Brüssel ansässige Führung der EU durch ihre wiederkehrende Verachtung für die nationale Souveränität dieser Definition voll und ganz.
Spengler glaubte, dass Dekadenz in der Politik die Vorherrschaft der Ideologie über das Handeln bedeutet. „Männer der Theorie begehen einen großen Fehler, wenn sie glauben, dass ihr Platz an der Spitze und nicht im Zug großer Ereignisse liegt“, schrieb er, ohne zu wissen, wie wahr dies heute ist. Gerade sahen wir den Sturz der britischen Premierministerin Liz Truss, die die Wirtschaft auf dem Altar der Ideologie opferte.
Das Dogma, das den sozialen Zusammenhalt und den Wohlstand zerstört, ist auch bei der Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes in Europa präsent, wenn Politiker billige russische Energie gewaltsam verweigern oder wenn das zwergenhafte Litauen einen Kampf mit China zur Verteidigung der „Souveränität“ Taiwans aufnimmt. Angesichts dieser Ereignisse hätte der deutsche Denker seine Behauptung wiederholt, dass „der politische Doktrinär immer weiß, was getan werden muss; trotzdem ist seine Tätigkeit, wenn sie sich einmal nicht auf das Papier beschränkt, die erfolgloseste und damit die wertloseste in der Geschichte“.
Wenn wir dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck oder seiner Kollegin im Außenamt Annalena Baerbock zuhören, die über das Primat der grünen Agenda dozieren oder darüber, wie die militärische Unterstützung der Ukraine fortgesetzt werden muss, unabhängig davon, was die Wähler denken, können wir nicht umhin, uns an die vernichtende Frage des Schriftstellers zu erinnern:
„Ich frage mich, wenn ich das Buch eines modernen Denkers zur Hand nehme, was er vom Tatsächlichen der Weltpolitik, von den großen Problemen der Weltstädte, des Kapitalismus, der Zukunft des Staates, des Verhältnisses der Technik zum Ausgang der Zivilisation, des Russentums, der Wissenschaft überhaupt ahnt.“
Die „regelbasierte internationale Ordnung“, jenes westliche Axiom, das aus der Euphorie nach dem Kalten Krieg entstand und zur Rechtfertigung der US-Hegemonie verwendet wurde, erinnert uns an den Aphorismus des Schriftstellers, dass nichts einfacher sei, „als an Stelle von Gedanken, die man nicht hat, ein System zu begründen“. „Aber selbst ein guter Gedanke ist wenig Wert, wenn er von einem Flachkopf ausgesprochen wird“, kommt einem in den Sinn, wenn wir die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen oder den EU-Außenminister Josep Borrell das immer gleiche Mantra wiederholen hören. „Allein die Notwendigkeit für das Leben entscheidet über den Rang einer Lehre“, etwas, das vergessen wurde, da Europa den USA in einem Wirtschaftskrieg, der den Kontinent ruiniert, blind folgt.
In Bezug auf die Konfrontation des Westens mit China hob Spengler das traditionelle Unverständnis westlicher Politiker für die Protagonisten des chinesischen Denkens hervor, die mit einem 4.000-jährigen Blick auf die Geschichte ihren Platz in der Welt verorten, verglichen mit dem westlichen engen Zeitrahmen, der von den Ereignissen seit 1500 geprägt ist. Diese in sich geschlossene westliche Wahrnehmung der Geschichte negiert die Weltgeschichte, sagt er und fügt hinzu, dass die Weltgeschichte in den Augen des Westens unser Weltbild ist und nicht das der gesamten Menschheit.
Der amerikanische Exzeptionalismus, die gefährliche Vorstellung, dass die Werte, das politische System und die Geschichte der USA dazu bestimmt sind, die führende Rolle der Welt zu spielen, wird infrage gestellt, wenn er darauf hinweist, dass es so viele Moralvorstellungen wie Kulturen gibt, nicht mehr und nicht weniger, und dass jede Kultur ihren eigenen Standard besitzt, dessen Gültigkeit damit beginnt und endet. Eine Aussage, die die Notwendigkeit einer multipolaren Welt erklärt.
Sosehr es politisch korrekt geworden ist, Nietzsches Ideen nach seiner Vereinnahmung durch die Nazi-Ideologie zu kritisieren, bekräftigte Spengler, dass Nietzsches Grundkonzept des Willens der Macht für die westliche Zivilisation wesentlich ist, was im Einklang mit dem westlichen Glauben an die Überlegenheit seiner Werte und der Notwendigkeit steht, sie anderen Kulturen aufzuzwingen:
„Der westeuropäische Mensch steht hier unter dem Einfluss einer ungeheuren optischen Täuschung, jeder ohne Ausnahme. Alle fordern etwas von den andern. Ein ‚du sollst‘ wird ausgesprochen in der Überzeugung, dass hier wirklich etwas in einheitlichem Sinn verändert, gestaltet, geordnet werden könne und müsse. Der Glaube daran und an das Recht dazu unerschütterlich.“
Geld, Politik und Presse spielten in der westlichen Zivilisation eine zentrale Rolle, erklärt Spengler. In der Politik „nährt“ Geld den demokratischen Prozess, insbesondere bei Wahlen, wie es in den USA immer wieder der Fall ist. Die Presse dient dem, dem sie gehört, und sie verbreitet keine „freie“ Meinung – sie erzeugt sie. „Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört.“
Was die Pressefreiheit betrifft, so werden wir daran erinnert, dass jedem erlaubt ist zu sagen, was er oder sie will. Aber die Presse ist frei, dies zur Kenntnis zu nehmen oder nicht. Die Presse kann jede „Wahrheit“ zum Tode verurteilen, indem sie jegliche Kommunikation darüber unterlässt – „eine furchtbare Zensur des Schweigens, die umso allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt“.
Auffällige Parallelen bestehen zwischen der heutigen Armut in US-Städten und Spenglers Beobachtung des alten Roms zur Zeit des Crassus, der als Immobilienspekulant auch an Donald Trump erinnert. Das römische Volk wird als „in entsetzlichem Elend in den vielschichtigen Herbergen dunkler Vororte“ dargestellt, ein Unglück, das direkt mit den Folgen des römischen Militärexpansionismus zusammenhängt und auf die aktuellen Zustände in Detroit, Cleveland oder Newark hindeutet.
„Der Untergang des Abendlandes“ wurde früher als Epilog des Ersten Weltkriegs gelesen, des Krieges, der alle Kriege beendete. Hoffentlich wird es in der heutigen Welt nicht als der Beginn neuen Unglücks gelesen.