Für mich hatte die sogenannte Wende eine besondere Bedeutung. Dies hängt mit meiner eigenen Herkunft und meinem persönlichen Lebensweg zusammen. Als Kind in der damaligen DDR aufgewachsen, 1954 nach Westberlin gekommen und heut wieder in meiner Heimat in Dresden lebend, war die Wiedervereinigung für mich mehr als ein abstraktes Ereignis.
Das durch meine – ursprünglich dienstlich begründete Begegnung mit der damaligen Leiterin des Suchdienstes des DRK der DDR, Edith Schulenburg, auch eine bis dahin nicht mögliche Klärung meiner eigenen Familiengeschichte verbunden war, lässt mich die Wiedervereinigung beider Rotkreuzgesellschaften in einem besonderen persönlichen Licht erscheinen.
Die politischen Ereignisse überstürzten sich in Berlin. Die Informationen aus dem Fernsehen schien der Unwirklichkeit näher als der Wirklichkeit zu sein. Jeder ahnte, dass sich etwas nicht Vorstellbares ereignen würde.
Beim Landesverband des DRK in der Bundesallee in Berlin wurde die Einsatzleitgruppe zusammengerufen, um auf mögliche Hilfeleistungen eingerichtet zu sein. An der Sektorengrenze strömten die Menschen aus Ost – Berlin in Richtung Westen und wurden teilweise mit Jubel von den Westberlinern begrüßt. Viele verstanden noch nicht, was geschehen war.
Zusammen mit dem damaligen Landesarzt, Dr. Sigurd Peters, und dem landesweit Geschäftsführer Vollmer, erörterte ich – ich war seinerzeit Hauptabteilungsleiter beim DRK-Landesverband Berlin – die Frage, ob es sinnvoll und notwendig sei, möglichst kurzfristig Kontakt mit dem DRK in Ostberlin aufzunehmen. Dabei gingen wir davon aus, dass sehr schnell überlegt werden musste, wie eine Abstimmung zwischen den beiden Rotkreuz – Verbänden über Hilfeleistungen im Grenzbereich erfolgen könnte. Dies wurde noch dadurch verstärkt, als uns der Bezirksverband des DRK der DDR in Berlin fernmündlich ersuchte, mit ihm in Kontakt zu treten.
Aufgrund der bestehenden Kontakte im Rahmen des grenzüberschreitenden Verkehrs verfügten wir über Fernschreibverbindungen zum Präsidium der DRK der DDR in Dresden, aber auch über direkte Fernschreibanschlüsse zum DRK in Ost-Berlin. Es war uns aufgrund der damaligen sogenannten zwei Staatentheorie der damaligen DDR strikt untersagt, direkten Kontakt mit dem DRK in Ostberlin aufzunehmen. Eine Kontaktaufnahme war offiziell nur über das DRK Präsidium in Bonn an das DRK Präsidium in Dresden möglich.
Es war uns im November 1989 sehr weit klar, dass dieser Verfahrensweg wohl endgültig der Vergangenheit angehörte. Wir baten fernmündlich bei unserem Bundesverband in Bonn um Genehmigung mit dem DRK in Ostberlin direkt Kontakt aufnehmen zu können. Erst nach mehrfacher Intervention wurde uns gegen Mitternacht die Genehmigung erteilt, unmittelbar mit den Rotkreuzvertretern in Ost-Berlin Kontakt aufnehmen zu dürfen.
Zusammen mit dem Landesarzt Dr. Sigurd Peters fuhren wir am 9. November 1989 gegen 2:00 Uhr zum Grenzübergang Invalidenstraße, um uns in der Sanitätsstelle des DRK der DDR auf Ostberliner Gebiet zu treffen.
Auf Ostberliner Seite war der stellvertretende Bezirkssekretär des DRK in Ostberlin, Bernd Münzner, sowie eine weitere Mitarbeiterin, die sich namentlich nicht vorstellte, anwesend.
Erstaunlich war die fast freundschaftliche Atmosphäre des Gesprächs, obwohl sich die Gesprächsteilnehmer vorher nicht kannten. Aus meiner heutigen Erinnerung kann ich fast sagen, dass, unabhängig von den ideologischen Barrieren, eine Gemeinsamkeit zwischen allen Gesprächsteilnehmer bestanden hatte: das Gefühl zu haben, dass man zu einer großen Rotkreuz – Familie gehörte.
In dem Gespräch ging es im Wesentlichen um ein erstes Kennenlernen. Es wurde erörtert, welche Möglichkeiten einer direkten Zusammenarbeit bei der sanitätsmäßigen Versorgung der Bevölkerung, insbesondere im Bereich der damaligen Sektoren von Berlin, bestehe.
In den darauffolgenden Wochen entwickelte sich eine praktische Zusammenarbeit zwischen den beiden Rotkreuz – Verbänden, als wenn selbige schon immer bestanden hätte.
Leider habe ich dann in den nächsten Jahren feststellen müssen, dass die Gegensätze zwischen Ost und West auch von Politikern nicht in dem Maße abgebaut wurden, wie man es hätte seinerzeit vermuten und erwarten können. Mit Sicherheit hat auch die Tätigkeit der Treuhand wesentlich dazu beigetragen, dass bei der Bevölkerung Ostdeutschlands das Vertrauen gegenüber dem Westen nicht gestärkt wurde.