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Sind Bürger, die den Versuch unternehmen, Russland zu verstehen, potenzielle Landesverräter?

Jetzt stellt sich die Frage, wer als nützlicher Idiot für wen angesehen werden soll. Sind es die Wissenschaftler, wie z.B. Claus Leggewie, die eine Stimme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekommen, um mit einer vermeintlichen wissenschaftlichen Autorität andersdenkende Bürger als Leute zu  bezeichnen, die diesen Staat gefährden und potentielle Landesverräter sind oder sind es die mit einer vermeintlichen wissenschaftlichen Autorität als Landesverräter bezeichneten Bürger, deren Stimme man kaum im öffentlichen Rundfunkt hört, die sich jetzt aber vermehrt auf der Straße Gehör  verschaffen?

In einem Interview, das Claus Leggewie dem Deutschlandfunk gab und indem er sich dahingehend verstieg, andersdenkende Bürger als potentielle Landesverräter zu beschimpfen, erläuterte Leggewie seine Sichtweise zum gegenwärtigen Stand der kriegerischen Auseinandersetzung, die auf dem Gebiet der Ukraine erfolgt, aber deren Ursache und Zielrichtung in einer fundamentalen Auseinandersetzung zwischen den USA und Russland zu suchen ist.

Es ist schon erschreckend, wie ein Wissenschaftlicher an der Oberfläche argumentiert und dabei sich nur an der Sprachregelung einer einseitigen von den USA verfolgten Zielsetzung orientiert. Unter einer solchen Annahme hat sogar Leggewie logisch und damit schlüssig argumentiert. Entscheidend ist jedoch, dass die Ausgangslage, von der hier argumentiert wird, falsch ist, weil sie nicht die historische Wurzel der Entstehung der kriegerischen Auseinandersetzung berücksichtigt und somit zu einer falschen Schlussfolgerung zwangsläufig führen muss. Natürlich ist der Krieg fürchterlich und natürlich war es ein strategischer Fehler der Russen, die Ukraine militärisch anzugreifen. Russland ist damit in die von dem früheren Sicherheitsberater und Geostrategen Zbigniew Brzezinski formulierte Falle getappt, der bereits 1997 anregte, Russland solange zu provozieren, bis es einen unüberlegten militärischen Angriff startet. Damit seien dann die Voraussetzungen für die USA gegeben, militärisch zurückzuschlagen. Es geht der USA keinesfalls um die Freiheit der Ukrainer, sondern um das langfristige Ziel, Russland als Weltmacht zu beseitigen. Hier unterscheidet sich der bedeutende Wissenschaftler Habermas von Leggewie, indem er den gesamten historischen Hintergrund mit in seine Überlegungen einschließt. Wenn man davon ausgeht, dass Russland es nie zulassen wird, von der politischen Landkarte zu verschwinden, dann kommt man sehr schnell zu der Überlegung, dass eine dauerhafte militärische Auseinandersetzung nur tausende Tote produzieren würde und vielleicht sogar mit einem Atomschlag endete.

Wenn der Westen glaubt, Verhandlungen bestehen darin, dass Russland alle Forderungen zu 100% erfüllen muss, dann zeigt das entweder eine politische Dummheit oder eine politische Überheblichkeit. In diesem Zusammenhang hat in einem heutigen Interview des Deutschlandfunks, Klaus von Dohnanyi sehr eindeutig Stellung bezogen. Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass von Dohnanyi nicht zu denjenigen gehört, die ohne Sachverstand etwas leichtfertig daherreden. Wenn von Dohnanyi feststellt, dass der Westen ohne Rücksichtnahme auf die russischen Sicherheitsbefindlichkeiten alles unternommen hatte, Russland in eine Abwehrhaltung zu bringen, die eben auch dazu führte, dass jetzt Krieg in der Ukraine ist, dann bringt er genau das zum Ausdruck, was der Wissenschaftler Leggewie nicht sehen will oder bewusst verschweigt. Durch das brutale Ausweiten der Nato-Grenzen direkt an die russische Grenze wurde der Frieden in erheblichem Maße gefährdet. Die vollständige Abhängigkeit Deutschlands von den USA, die, so von Dohnanyi, um ein Vielfaches höher ist, als es die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas war, führt dazu, dass Deutschland in dieser Auseinandersetzung kein Gehör findet. Die Entscheidungen werden ausschließlich in Washington getroffen und auf keinen Fall in Brüssel, Berlin oder in Kiew.

Man kann unterschiedlicher Meinung in der Beurteilung einer gesellschaftspolitischen Lage sein. Was wir aber in Deutschland beobachten müssen, ist eine Verrottung der Diskussionskultur. Es ist schon schlimm genug, dass immer weniger Bürger bereit sind, anderen zuzuhören. Noch schlimmer ist es aber, wenn unter dem Mäntelchen der Wissenschaft der Versuch unternommen wird, Meinungen durchzudrücken und Personen, die andere Meinungen vertreten zu beleidigen und sie gesellschaftlich auszugrenzen. Formulierungen eines Wissenschaftlers wie „die haben den Schuss noch nicht gehört“, wenn er diejenigen meint, die darauf hinweisen, dass man auch den politischen Gegner zumindest in dessen Argumentation verstehen sollte, verhalten sich nicht wie Wissenschaftlicher, sondern wie Demagogen. Und wenn ein Wissenschaftler wie es Claus Leggewie im Deutschlandfunk tat, Andersdenkende als potenzielle Landesverräter tituliert, dann hat er sich nicht nur im Ton vergriffen, sondern beteiligt sich an der Zerstörung dieser Gesellschaft.