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Milliardengräber. Noch gar nicht gebaute Straßen werden jährlich zehn Prozent teurer

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher von den NachDenkSeiten
Greenpeace hat nachgerechnet: 800 Straßenbauprojekte werden im Falle ihrer Umsetzung 100 Milliarden Euro mehr an Steuergeld verschlingen, als der „aktuelle“ Bundesverkehrswegeplan veranschlagt. Obwohl der Großteil der Unternehmungen bisher nur geplant ist, schießen die Kosten ungebremst ins Kraut, mithin „um mehrere hundert Prozent“. Die Spielräume für den überfälligen Ausbau der Bahn schrumpfen da selbstredend zusammen, weshalb der zuständige Minister den „Deutschlandtakt“ mal eben auf 2070 verschoben hat. Aber Volker Wissing bekommt Gegenwind. Zehntausende wollen, dass er fliegt. Von Ralf Wurzbacher.


Der Titel der am Donnerstag von der Umweltschutzorganisation Greenpeace veröffentlichten Studie zur Straßenbauplanung der Bundesregierung und ihren Kosten ist treffend gewählt: „Schotterpisten“. Die Errichtung von Auto- und Bundesstraßen, von Brücken und Tunneln erfordert jede Menge Steine und Sand. Vor allem braucht es fürs Baggern, Asphaltieren und Planieren aber Asche, also Geld, sehr viel Geld und irgendwie immer mehr davon. Nach dem vorgelegten Zahlenwerk könnte allein die Realisierung der im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) mit höchster Priorität klassifizierten Straßenprojekte bis zum Jahr 2035 rund 100 Milliarden Euro höhere Ausgaben verursachen als ursprünglich vorgesehen. Das wäre mal eben ein ganzes „Sondervermögen“, wie es die Ampel für die Ertüchtigung der Bundeswehr auf den Weg gebracht hat, mit dem Unterschied, dass das Ganze keine „Besonderheit“ ist, sondern der ganz normale Wahnsinn einer Verkehrspolitik von vorvorgestern.

Was die Sache noch irrer macht: Ehe nur ein Kran in Stellung gebracht und nur eine Schaufel Erde ausgehoben ist, vermehren sich die Kosten der fraglichen Unternehmungen mit rasendem Tempo. Obwohl die meisten bisher nur auf dem Papier stehen, werden sie mit jedem Jahr teurer, im Schnitt um 10,6 Prozent, wie Greenpeace ermittelt hat. Auf längere Sicht heißt das: „Ein BVWP-Fernstraßenprojekt verdoppelt seinen Preis mithin üblicherweise innerhalb von neuneinhalb Jahren.“ Das läppert sich natürlich mit der Fülle der Maßnahmen. So waren die untersuchten 800 Projekte, die als „fest disponiert” und “vordringlich” eingestuft sind, bei der Verabschiedung des BVWP im Jahr 2016 noch mit knapp 51 Milliarden Euro veranschlagt. Sieben Jahre später hat sich der Ansatz mal eben verdreifacht, auf 153 Milliarden Euro. Dabei wäre das längst nicht das Ende der Fahnenstange. Der Bundesverkehrswegeplan beinhaltet Hunderte mehr Projekte des „weiteren Bedarfs“, die nicht in die Berechnung eingegangen sind. Insgesamt geht es um 1.360 Vorhaben, die bei Beschlussfassung mit 270 Milliarden Euro beziffert waren. Was, wenn der ganze Haufen bis zur Umsetzung in zwölf Jahren dreimal mehr Geld verschlingt? Das wären dann über 800 Milliarden Euro. Vielleicht würde ja sogar die Billion geknackt, für etwas, das schon heute komplett aus der Zeit gefallen ist.

Preis verneunfacht

Aber wie kommt Greenpeace auf diese riesigen Hausnummern? Grundlage der Kalkulation ist die Antwort des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) von Anfang März auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Hierbei wurde die veränderte Kostenentwicklung bei 351 Projekten behandelt und die Ergebnisse hat der Verband auf die verbleibenden 450 Maßnahmen hochgerechnet. Dabei sei ein „eindeutiger Trend“ erkennbar geworden: Bei 13 gingen die Preisansätze zurück, bei 13 blieben sie konstant. In 325 Fällen ergab sich dagegen eine Verteuerung, „zum Teil um mehrere hundert Prozent“.

Dazu drei Beispiele: Der sechsstreifige Ausbau der Autobahn 59 bei Duisburg stand mit 333 Millionen Euro im BVWP zu Buche. Zum Stichtag 11. Februar 2022 hatten sich die Kosten dann auf über 1,4 Milliarden Euro vervierfacht. Dabei gibt es bisher nicht einmal eine Baustelle. Dagegen ist die rund 1,8 Kilometer lange Ortsumgehung bei Imsweiler in Rheinland-Pfalz immerhin im Bau, seit fünf Jahren. 2019 wurden die Kosten bis Fertigstellung mit 66 Millionen Euro angegeben, wenige Jahre davor noch mit etwas mehr als 22 Millionen Euro. Ob es sich mit der Verdreifachung des Preises bis Bauende erledigt hat, ist nach Medienberichten „unklar“. Dann ist da die sechsspurige Erweiterung der A 81 zwischen dem Autobahnkreuz Stuttgart und Sindelfingen-Ost. Innerhalb von sieben Jahren haben sich die Kosten von 12,4 Millionen Euro auf 111,3 Millionen verneunfacht, wobei die letzte Taxierung mehr als zwei Jahre zurückliegt.

Systematische Kleinrechnung

Gründe für die groben Fehleinschätzungen sind laut Auswertung allgemeine Kostensteigerungen beim Bau bis hin zur „systematischen Kleinrechnung“. In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages hat das BMDV selbst eine Steigerung der Baukosten zwischen 2016 und 2021 um 24,7 Prozent festgestellt. Die Folgen der Rekordinflation im laufenden und zurückliegenden Jahr sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Mindestens mitverantwortlich ist das Ministerium bei dem, was auch die Rechnungshöfe in Bund und Ländern wiederholt beanstandet haben. Der Bundesrechnungshof (BRH) hatte schon 2016 moniert, die Festsetzung der Projektkosten wäre nicht nachvollziehbar, teilweise nicht plausibel und beruhe auf Schätzungen, die eher zu niedrig angesetzt seien. Trotzdem wurden die Pläne praktisch ausnahmslos durchgewunken.

Das alles hat System, wie auch Greenpeace bestätigt. „Je geringer die angeblichen Kosten, desto besser das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV).“ Diese Größe entscheide bei der Aufstellung des BVWP maßgeblich darüber, „welcher Prioritätsstufe die Projekte zugeordnet werden – und damit über die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt umgesetzt werden“. Je niedriger die Kalkulation, desto eher wird ein Projekt realisiert, bemerkte auch Greenpeace-Verkehrsexpertin Lena Donat in einer Medienmitteilung. „Die tatsächlichen Kosten werden erst im weiteren Verlauf offensichtlich.“ Dazu kommt ein weiterer Faktor. Bei stetig wachsendem Abstand zwischen geplanten und schlussendlich fälligen Kosten ergeben sich auch größere Spielräume zur Bereicherung von Beteiligten: Planer, Baufirmen, Lieferanten, Mitarbeiter in Behörden bis hin zu politischen Entscheidern. Wo in großem Stil Staatsgeld verpulvert wird, wird auch gerne die Korruption heimisch.

Bahn auf Abstellgleis

„Ohne politische Steuerung perpetuiert sich der Straßenbau immer weiter“, äußerte sich Carl Waßmuth vom Bündnis „Bahn für alle“ am Freitag gegenüber den NachDenkSeiten. Die Hälfte der Autobahnbrücken sei 50 Jahre alt, jetzt wolle die Ampelregierung sie für weitere 50 Jahre neu herrichten. Die Autobahnen erhalte man sorgfältig und baue das Netz immer weiter aus. Aber bei der Bahn habe man Tausende Kilometer Schiene stillgelegt. „Das ist völlig absurd, denn nur die Bahn ist imstande, uns vor dem Klimakollaps zu retten“, bekräftigte Waßmuth. Tatsächlich will Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) an seinen in jeder Beziehung überdimensionierten Ausbauplänen festhalten. Für die aktuell in Ausarbeitung befindliche Verkehrsprognose 2040 werden die Vorgaben des BVWP praktisch eins zu eins übernommen. Bei Umsetzung wären das zusätzliche 3.300 Autobahn- und Bundesfernstraßenkilometer, wofür der Bund seine Investitionsmittel vervierfachen und ab 2023 jedes Jahr über zehn Milliarden Euro ausgeben müsse, bemängelt Greenpeace.

„Volker Wissing hat ein CO₂- und ein Finanzproblem. Noch mehr Autobahnen zu bauen, verschlimmert beides. Die Antwort kann nur sein, den Bundesverkehrswegeplan grundlegend zu ändern“, bekräftigte Donat. Ihr Verband fordert, den Aus- und Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen umgehend zu stoppen. Das BMDV dürfe sich nicht weiter an eine immer teurer werdende „Wünsch-dir-was-Liste aus der Zeit gefallener Straßenprojekte klammern“. Statt dessen müssten die Mittel in den Ausbau der Schiene fließen und die Planung von Verkehrsinfrastruktur grundlegend überarbeitet und an den Klimazielen ausgerichtet werden.

150.000 gegen Wissing

Immerhin sorgt der Starrsinn Wissings für Unmut in der Koalition. Am kommenden Sonntag soll der anhaltende Streit zwischen FDP und Grünen über den Autobahnausbau in einem Koalitionsausschuss beigelegt werden. Man darf gespannt sein, wer hier wie viel seiner Stellung wird preisgeben müssen und welcher (faule) Kompromiss dabei herausspringt. Zumal man auf den Durchsetzungswillen der Grünen-Partei nicht allzu viel geben sollte. Deren Ministerriege, angeführt von Robert Habeck und Annalena Baerbock, legt im Zeichen des Ukraine-Kriegs schließlich selbst gerade einen fulminanten klimapolitischen Rollback hin, Stichworte: Kohlecomeback, Fracking- und Flüssiggasförderung.

Am Ende hängt es von den Bürgern im Land selbst ab, wohin die klimapolitische Reise der BRD geht, ob sie weiter mit viel Gestank und Stau über die Straße führt oder mit Tempo und Komfort über die Schiene. Für Letzteres bedarf es freilich eines neuen Steuermanns. Gerade einmal drei Tage ist eine Petition von Fridays for Future (FFF) bei Campact.de mit einer Rücktrittsaufforderung an Verkehrsminister Wissing auf Sendung und schon mehr als 150.000 Menschen haben sich dem Aufruf angeschlossen. Die bisherige Leistungsbilanz des FDP-Politikers: kein Tempolimit, Bremsen beim Verbrennerausstieg, steigende Emissionen in seinem Ressort, ein aufs Jahr 2070 verschobener „Deutschland-Takt“ bei der Bahn. Solange er im Amt bleibe, „wird es keine Verkehrswende geben, die diesen Namen verdient“, beklagen die Klimaschutzaktivisten. Deshalb, „Herr Kanzler Scholz, greifen Sie ein und lassen Sie jemanden diesen Job machen, der weiß, wovon er spricht, was seine Aufgaben sind, und bereit ist, tatsächlich loszulegen“. Gut so, aber: Wer soll das sein?

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Nord-Stream-Terror: Der Auftritt der mutmaßlichen Sündenböcke

Ein Artikel von: Tobias Riegel  von den NachDenkSeiten

Aufgefundene Reisepässe, nicht entfernte Spuren von Sprengstoff – glaubt man aktuellen Berichten, dann wurden die Nord-Stream-Pipelines von einer kleinen Gruppe (pro-)ukrainischer Stümper ohne Regierungskontakt zerstört. Diese Version ist passend, denn sie entlastet die USA und ihre Verbündeten, die nach Würdigung der Indizien, der Motive, der Gelegenheit und der technischen Fähigkeit als Hauptverdächtige des Anschlags zu gelten haben. Gleichzeitig wird in den aktuellen Medienberichten auch eine russische „False-Flag-Operation“ nicht ausgeschlossen – denn solche Operationen gelten nur dann als groteske Verschwörungstheorien, wenn sie westlichen Geheimdiensten vorgeworfen werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Laut Medienberichten ist nun „weitgehend rekonstruiert worden, wie und wann der Sprengstoffanschlag auf die Nord Stream-Pipelines vorbereitet wurde“. Demnach führen Spuren in Richtung Ukraine. Allerdings hätten die Ermittler bislang keine Beweise dafür gefunden, wer die Zerstörung in Auftrag gegeben hat. Die Täter scheinen nicht besonders professionell gewesen zu sein. Denn, wie ZDF vermeldet:

“Es wurden zwei Reisepässe gefunden. Die allerdings professionell gefälscht waren…”

Es kommt noch besser: Laut ARD sei die für den Anschlag genutzte Yacht dem Eigentümer im Anschluss in „ungereinigtem Zustand“ zurückgegeben worden: „Auf dem Tisch in der Kabine haben die Ermittler den Recherchen zufolge Spuren von Sprengstoff nachweisen können.“

Die „Tagesschau“ führt zudem aus, dass es den Ermittlern bislang nicht gelungen sei, herauszufinden, wer die mutmaßliche Tätergruppe beauftragt hat. Dann wird der öffentlich-rechtliche Sender verschwörerisch:

„In internationalen Sicherheitskreisen wird nicht ausgeschlossen, dass es sich auch um eine ‚False Flag‘-Operation handeln könne. Das bedeutet, es könnten auch bewusst Spuren gelegt worden sein, die auf die Ukraine als Verursacher hindeuten. Allerdings haben die Ermittler offenbar keine Hinweise gefunden, die ein solches Szenario bekräftigen.“

Laut „New York Times“ gibt es (selbstverständlich) „keine Hinweise auf eine Verwicklung des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskyj oder seines engen Umfelds, oder dass die Täter auf Anordnung der ukrainischen Regierung gehandelt hätten“, wie deutsche Medien berichten. Einige Informationen und Kommentare zum Thema hatten wir heute bereits in den Hinweisen des Tages.

Aus den „staatlichen Akteuren“ werden plötzlich staatenlose Stümper

Viele Medien greifen die Version von den Stümpern ohne staatliche Verbindungen nun ohne angemessene starke Skepsis auf und verzichten vorerst darauf, diese Darstellung mit harten Fragen nach der Plausibilität zu erschüttern – ganz anders als bei vielen Medien-Reaktionen auf den Hersh-Bericht.

Außerdem werden Kriterien der Plausibilität zum Teil an das mutmaßliche jeweilige journalistische Ziel angepasst: Hieß es bisher von offizieller und medialer Seite oft, hinter den Anschlägen müsse ein staatlicher Akteur stecken, wird nun übergangslos die Theorie der staatenlosen Stümper freundlich verbreitet. Auffällig ist momentan außerdem, dass Spekulationen um False-Flag-Operationen nicht mehr prinzipiell als „Verschwörungsmythen“ verdammt werden, sobald sie ins eigene Konzept passen.

Noch ein Wort zu der hochtrabenden Formulierung von der „gemeinsamen Recherche des ARD-Hauptstadtstudios, des ARD-Politikmagazins ‚Kontraste’, des SWR und der ‚ZEIT‘“, für die diese Medien „mit Quellen in mehreren Ländern gesprochen“ hätten: Wo genau ist hier die Recherche? Der Eindruck kann täuschen: Aber mir erscheinen die Berichte so, als hätten die Ermittlungsbehörden entschieden, dass nach dem Hersh-Bericht ein weiteres Schweigen zu dem Terroranschlag nicht weiter durchzuhalten sei und dass sie darum (ausgesuchte) Medien von der ab jetzt offiziell vertretenen Version der Ereignisse informiert haben.

Viele Medien dankbar für den Ausweg aus dem „Nord-Stream-Dilemma“

Die nun präsentierten Vermutungen haben für die offizielle Linie den Vorteil, dass sie sowohl den allzu unglaubwürdigen Pfad verlassen, die Russen verantwortlich zu machen, gleichzeitig aber auch die mit Abstand Hauptverdächtigen (USA und Verbündete) aus dem Verdacht nehmen. Und nicht mal die ukrainische Regierung wird durch diese Version befleckt, weil sie ja nichts davon wusste. Dem Publikum wird eine nun wenigstens halbwegs glaubwürdige Geschichte präsentiert – mutmaßlich, um eine viel glaubwürdigere Version zu verdecken? Schließlich gilt es, einen „Elefanten im Raum“ zu verstecken.

Da es noch keine handfesten Beweise zu dem Anschlag gibt, verbleiben momentan nur Spekulationen, die sich auf Wahrscheinlichkeiten und die vorhandene Indizienkette stützen müssen – und diese Kette spricht zunächst deutlich für die USA als Initiator. Viele Medien scheinen darum nun froh zu sein, dass ihnen endlich ein Ausweg aus dem Nord-Stream-Dilemma angeboten wird, manche nehmen ihn gerne an, etwa die „Bild“ weiß schon, wo „das Sprengkommando“ in See gestochen ist.

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Olaf Scholz und die Kampfpanzer: Ist sein Zögern ernst gemeint?

  1. Januar 2023 um 13:00 Ein Artikel von: Tobias Riegel 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in den letzten Tagen den Eindruck erweckt, dass er der Kriegstreiberei durch Teile seiner Koalition und durch die USA wenigstens den Ansatz eines eigenen taktischen Verhaltens entgegensetzen will. Indem er deutsche Lieferungen von Kampfpanzern mit ebensolchen Lieferungen aus den USA verknüpfte, konnte kurzzeitig der moralische Druck auf Deutschland etwas gemildert werden. Ist dieser erweckte Eindruck eines „widerständigen“ Bundeskanzlers realistisch, wo doch dieser Kanzler die militaristische „Zeitenwende“ verkündet und beworben hat? Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Zuspruch für das möglicherweise strategische Verhalten der letzten Tage erhält Kanzler Scholz momentan auch von ungewöhnlicher Seite. So schreibt die „Junge Welt“:

„Was auch immer den Bundeskanzler bewogen hat, das Gerücht zu streuen, er koppele eine ‚Leopard‘-Lieferung daran, dass die USA ebenfalls Kampfpanzer nach Kiew schicken – der Schachzug war erfolgreich. Sein neuer Kriegsminister erklärte in Ramstein wörtlich, der Eindruck, es gebe in dieser Frage eine ‚geschlossene Koalition‘, sei ‚falsch’. Es herrscht Meinungsverschiedenheit, um nicht zu sagen Verwirrung im Westen. Keine schlechte Leistung.“

Solche Beiträge sind selbstverständlich die große Ausnahme. Das Verhalten vieler Journalisten und Politiker, die den deutschen Kanzler in den letzten Tagen bei der überlebenswichtigen Frage der deutschen Kriegsbeteiligung scharf angegriffen haben, ist einmal mehr sehr fragwürdig.

Eine große Ausnahme im Einheitsklang vieler großer Medien, die die Lieferung deutscher Kampfpanzer gar nicht abwarten können, gab es dieser Tage aber auch: Im MDR argumentierte Rommy Arndt konsequent gegen das brandgefährliche Trommeln für deutsche Panzerlieferungen. Der MDR-Kommentar hat Aufsehen erregt, der Sender sah sich genötigt, eine Erklärung dazuzustellen – und der Grüne Volker Beck meinte auf Twitter erwartungsgemäß, er würde „die Dame abmahnen lassen“.

Waffen und SPD: Liefern, zögern, liefern…

Der bisherige Mechanismus bei den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine lief oft folgendermaßen: Besonders eifrige Kriegstreiber vor allem von Grünen und FDP oder aus etablierten Medien behaupteten eine „internationale Verpflichtung“ oder eine emotionale moralische Folgerichtigkeit, um Deutschland noch weiter in den Ukrainekrieg zu ziehen. Dann „zögerte“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Weile – und dann wurden die Waffen trotzdem geliefert, bis hin zu Schützenpanzern. Dieses nur scheinbare Zögern wird darum von vielen kritischen Beobachtern als Teil einer Inszenierung interpretiert, mit der die Bevölkerung „schonend“ an die neue Militarisierung herangeführt werden soll, also eines Vorgehens, bei dem mit verschiedenen Rollen ein Widerstand gegen den Kriegseintritt Deutschlands nur simuliert werden soll.

Ob das aktuelle Verhalten von Scholz, das die Lieferung von deutschen Kampfpanzern bisher zumindest erfolgreich verzögert hat, nur der übliche Theaterdonner vor dem erneuten Einknicken der SPD-Führung ist oder ob die Taktik nur eine Wahlkampfstrategie der SPD etwa vor der kommenden Berlinwahl ist, das kann man nur vermuten. Aber auch wenn es so ist: Trotzdem wurde dadurch nun endlich mal ein Zeichen gesetzt, das von der bisherigen, total widerstandslosen Kriegslinie wenigstens in Nuancen abweicht. Bei der Beurteilung der deutschen Regierung muss auch immer der enge Spielraum eingepreist werden, der den Politikern wegen des starken US-Einflusses noch bleibt.

Wird die SPD die Bürger wieder enttäuschen?

Es ist ein sehr subjektiver Eindruck: Viele Menschen erscheinen mir durch das Verhalten von Scholz der letzten Tage und durch die giftigen Reaktionen in Politik und Medien mit neuer friedenspolitischer Motivation erfüllt. Das könnte auch unter den SPD-Mitgliedern eine Wirkung entfachen, auf die die Führung möglicherweise irgendwann reagieren müsste.

Aber auch ein anderes Szenario ist möglich, schließlich hat die SPD ihre friedenspolitischen Wurzeln weitgehend gekappt und Scholz ist wie gesagt der Kanzler, der die militaristische „Zeitenwende“ verkündet und beworben hat: Bei diesem Szenario knickt die SPD-Führung schon wieder ein und die Bundesregierung gibt die Erlaubnis, Leopard-Panzer zu liefern. Dadurch würde sich das jetzige Verhalten rückwirkend als Irreführung darstellen, mit der der Bevölkerung vorgegaukelt wird, es gebe (angeblich) verschiedene Positionen zu den Waffenlieferungen, um die ehrlich gerungen würde. Das würde dann eine umso größere Enttäuschung hervorrufen.

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Krone-Schmalz-Vortrag sehr gut – aber ob ihre Empfehlung zur „Geheimdiplomatie“ trägt? Und mit Merkel?

Bor/26.102022

Der Artikel in den NachDenkSeiten über ein Referat von Professor Dr. Gabriele Krone-Schmalz ist sehr interessant und weist in eine völlig andere diplomatische Richtung, wie der Konflikt in der Ukraine gelöst werden könnte.  Deshalb veröffentliche ich diesen auch auf meiner Internetseite.

Es ist bezeichnend, dass solche Gedanken auf keine Zustimmung des Establishments stoßen. So versucht man, die weitere Veröffentlichung dieses wichtigen Vortrages zu verhindern, indem man angekündigte Vortragstermine einfach aufhebt.

Die Ausführung von Prof. Gabriele Krone Schmalz zeigen aber sehr deutlich, dass es durchaus auch andere Wege einer Konfliktlösung geben könnte, wenn man dies nur wollte.

Es sieht so aus, als sei man zurzeit noch nicht an einem Ende der Auseinandersetzungen in der Ukraine interessiert. Nur so werden anstelle diplomatischer Bemühungen weitere Waffen in die Ukraine geschickt. In diesem Zusammenhang steht auch der Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine. Ein deutscher Politiker hat in dieser kriegerischen Auseinandersetzung gar nichts zu suchen, weil es sich um eine militärische Auseinandersetzung handelt, in der Deutschland nicht involviert war. Dies ist erst durch die massive Einmischung Deutschlands in die Auseinandersetzungen der Ukraine mit Russland geschehen, da die deutschen Politiker ohne ein Mandat der Bürger, alles unternommen haben, Deutschland mit als Kriegsbeteiligten einzubringen. Den Bürgern wird zwar immer wieder erzählt, dass Deutschland kein Kriegsbeteiligter in der Ukraine sei, man kann dies aber auch völlig anders sehen. Wenn ein Staat Waffen in das Kriegsgebiet liefert und sogar Soldaten für diesen Krieg ausbildet, dann kann man nicht mehr davon reden, dass dieses Land kein Kriegsbeteiligter ist.

Der Bundespräsident sollte sich um die Belange des eigenen Volkes kümmern. Es gibt in Deutschland wahrlich viel zu tun, um zu verhindern, dass Deutschland nur noch als Entwicklungsland in der Welt angesehen wird.

Ein Artikel von: Albrecht Müller
veröffentlicht in den NachDenkSeiten
Professor Dr. Gabriele Krone-Schmalz hat bei der Volkshochschule in Reutlingen ein bemerkenswertes Referat gehalten. Wir haben schon darauf hingewiesen. Wir empfehlen die Verbreitung nicht zuletzt auch deshalb, weil Krone-Schmalz wie auch andere kritische Geister, zum Ziel von scharfen Attacken geworden ist. Kürzlich war eine Veranstaltung mit ihr plötzlich aus dem Veranstaltungskalender* der VHS der Stadt Köln verschwunden. (Anmerkung: Die Veranstaltung ist aber nicht abgesagt und wird am 27.10. trotz Kritik stattfinden.) Gabriele Krone-Schmalz hat in Reutlingen empfohlen, die Gefahr der Erweiterung des Krieges** mit Geheimdiplomatie abzuwenden, und sie hat Angela Merkel als jene Person benannt, die diese Arbeit leisten könne. Diesen Vorschlägen gelten meine kritischen Anmerkungen. Albrecht Müller.

 

1. Können wir wirklich auf Geheimdiplomatie setzen? Wie soll diese funktionieren? Geht es wirklich ohne die große öffentliche Auseinandersetzung

  • um das Verhältnis zu Russland,
  • um die imperialen Absichten des Westens
  • und die unendlich vielen Lügen in der öffentlichen Auseinandersetzung?

Und 2. Ist Angela Merkel wirklich die geeignete Person zur Vermittlung?

Zu 1. Geheimdiplomatie

Diese müsste auf westlicher Seite nicht nur von uns, also von Deutschland, sondern vor allem auch von der NATO und in letzter Instanz von den USA getragen werden. Da ist zu fragen: Von wem soll denn in den USA eine auf Vermittlung, auf Frieden und auf Anerkennung des Sicherheits-Bedürfnisses Russlands achtende Diplomatie geleitet werden? Beide Parteien, Demokraten und Republikaner, sind durchsetzt von Personen, die im besten Fall Russland aus Europa hinauswerfen wollen (siehe die Ende April 2000 vom State Department getragene Konferenz in Bratislava), im anderen Fall in Russland einen Regime Change und die Aufteilung des großen Landes beabsichtigen. Die Geister, die in der Zeit von Jelzin in den neunziger Jahren Russland gefleddert haben, sind doch nicht verschwunden, im Gegenteil: Sie sind mächtiger denn je. Und jene, die auf jeden Fall eine Verständigung zwischen Russland und Deutschland hintertreiben wollen, sind ebenfalls mächtig. Aus welchen Lagern sollen angesichts dieser inneren Situation in den USA diplomatische Kräfte kommen, die auf Frieden setzen und auf Partnerschaft mit Russland statt auf Konfrontation?

Die Rüstungswirtschaft ist so mächtig, dass sie der Geheimdiplomatie die Lösung der Konflikte nicht überlassen wird. Die Rüstungskonzerne brauchen die Konflikte, um daran zu verdienen. Und erst wenn diese menschenverachtende Strategie und Motive öffentlich viel deutlicher diskutiert werden als bisher, wird sich überhaupt etwas bewegen.

Wer von den gewählten Personen der Bundesregierung soll denn in Deutschland die Geheimdiplomatie mittragen? Frau Baerbock, Frau Lambrecht, Herr Klingbeil, Herr Habeck? Ein Großteil dieser Personen ist, wie auch die Medien, ganz wesentlich von US-amerikanischen Interessen bestimmt. Zuletzt wurde das deutlich, als der SPD-Vorsitzende Klingbeil die größten historischen Erfolge seiner Partei in die Tonne trat. Glaubt Frau Krone-Schmalz, diese Politiker würden sich in der Geheimdiplomatie vernünftiger, menschlicher, friedvoller, unabhängiger von finanziellen und Rüstungsinteressen verhalten, als in der offenen Auseinandersetzung? Die Chancen, zu friedlichen Lösungen zu kommen, sind gering. In geheimen Kanälen werden sie nicht größer, sondern kleiner. Das könnte ich mit vielen weiteren Details belegen.

Das Wichtigste ist – und dabei wiederhole ich mich zum Teil: Nur wenn wir die Verfilzung vieler deutscher Politiker und Medien mit der Rüstungslobby und mit US-Interessen ans Licht holen, besteht überhaupt eine Chance, zu einer Politik der Verständigung zurückzukehren.

Noch eine Ergänzung: In geheimen Zirkeln werden sich innerhalb Europas und in Kombination mit den USA jene Länder durchsetzen, die mit Russland noch Rechnungen offen zu haben meinen – also die baltischen Staaten, Polen, usw.

Wir müssen diese existenziellen Probleme unseres Landes offen ansprechen. Wir müssen zeigen und endlich thematisieren, dass das Europa, wie es jetzt zusammengesetzt ist, kein Europa der Verständigung mit Russland sein wird.

Wir müssen endlich thematisieren, dass wir uns aus den Fängen der USA und ihrer Vasallen in Osteuropa befreien müssen, wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen, friedlich mit allen Staaten und auch mit Russland zusammenzuleben.

Geheimdiplomatie – wie soll denn ohne offensive und offene Debatte so etwas Schreckliches wie die Zerstörung der Gasleitungen in der Ostsee aufgeklärt und künftig verhindert werden? Im Geheimen spielt man Katz und Maus mit uns. Wir müssen aber die Empörung unseres Volkes erreichen und die erreichen wir nur, wenn wir den Menschen reinen Wein einschenken. Die Diplomaten der geheimen Kanäle tun dies nicht.

Auf diese Idee konnte Frau Professorin Krone-Schmalz nur kommen, weil sie diesen Menschen Gutes zutraut und Gutes unterstellen will. Dafür fehlt mir der Glaube.

Die Auseinandersetzung mit Russland wird zurzeit ganz wesentlich auf Lügen als auch auf bewusst falsche Darstellungen und Manipulationen aufgebaut. Gabriele Krone-Schmalz hat in ihrem Vortrag selbst auf dieses Problem hingewiesen und Beispiele für diese Lügen, für diese systematischen und beabsichtigten Lügen, genannt. Sie wies zum Beispiel zu Recht darauf hin, dass systematisch die Behauptung verbreitet wird, Russland habe den Krieg mit Georgien begonnen. Das ist nachweislich falsch, wird aber immer wieder behauptet. Wie soll sich das in der Geheimdiplomatie ändern? Dort wird auch dann genauso gelogen, allerdings mit dem Unterschied, dass es nicht aufgedeckt werden kann und nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Zu 2: Merkel als Motor der Geheimdiplomatie zwischen dem Westen und Russland

Gabriele Krone-Schmalz hat vermutlich ein geschöntes Bild der ehemaligen Bundeskanzlerin. Verschiedene Ereignisse und Vorgänge in der Vergangenheit sprechen nicht für die notwendige Neutralität und vor allem auch nicht für den Friedenswillen der ehemaligen Bundeskanzlerin.

Angela Merkel hat am 20. Februar 2003 in einem Artikel in der ‘Washington Post’ den damals regierenden Bundeskanzler Schröder wegen seiner Ablehnung einer direkten Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg kritisiert und gemahnt, Schröder spreche nicht für alle Deutschen. Damit hat Angela Merkel in einem konkreten, noch dazu grotesken Fall US-amerikanische und nicht deutsche Interessen vertreten. Und das soll eine besondere Basis für die Geheimdiplomatie mit Russland darstellen?

Noch vieles andere spricht für die besondere Verbundenheit Angela Merkels mit den USA: Sie hat es hingenommen, dass US-amerikanische Geheimdienste ihr Handy abhören. Sie hat nicht aufbegehrt gegen den Ausbau der Drohnenvermittlung auf dem Militärstützpunkt der USA in Ramstein. Ramstein liegt in Deutschland. Nie und nirgendwo hat sich Angela Merkel als Bundeskanzlerin unseres Landes kritisch zum mörderischen Einsatz dieses Fleckchens Pfälzer Erde eingesetzt. Sie hat auch den Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Mützenich, nicht bei dessen Problematisierung der atomaren Teilhabe unterstützt.

Angela Merkel war Bundeskanzlerin, als der Putsch infolge der Maidan-Proteste passierte. Hat man irgendwo etwas davon gehört, dass die deutsche Bundeskanzlerin sich dafür eingesetzt hätte, dass die Verabredung mit dem damaligen Präsidenten der Ukraine, zu dessen Zweck auch ihr Außenminister Steinmeier angereist war, auch wirklich eingehalten wurde? Hat sich Angela Merkel dafür eingesetzt, dass Minsk I und II mit Leben erfüllt wurden?

Zurzeit läuft ja aktuell eine Debatte um die sogenannte schmutzige Bombe: Das Verteidigungsministerium in Moskau beschuldigt die Ukrainer, zusammen mit Großbritannien den Einsatz einer solchen Bombe vorzubereiten und diesen Einsatz dann den Russen in die Schuhe zu schieben. Könnten wir, könnten die Russen von Angela Merkel erwarten, dass sie objektiv an die Aufklärung dieser Vorgänge herangeht?

Vielleicht ist ja die russische Regierung schon soweit in der Defensive, dass sie eine so vorbelastete Geheimdiplomatin wie Angela Merkel akzeptieren würde. Glauben kann ich das nicht und mich beeindruckt auch nicht das Argument von Frau Krone-Schmalz, Angela Merkel spreche Russisch.

Zusammenfassend: Beide konkreten Vorschläge von Professor Krone-Schmalz sind nicht besonders zielführend.

 

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Dokumenten-Leak: Wie die Bundesregierung an einer „Narrativ-Gleichschaltung“ zum Ukraine-Krieg arbeitet – Teil 1

Wie wir bereits in einem eigenen Kommentar ankündigten, veröffentlichen wir den gesamten Artikel über die “Narrativ-Gleichschaltung” von NachDenkSeiten auf unserer Seite. Wir halten den Inhalt für so wichtig, dass er breit gestreut werden muss. 

 

Den NachDenkSeiten wurde exklusiv ein internes Dokument der Bundesregierung zugespielt. Wir konnten das Papier verifizieren und uns ist auch die Identität des Whistleblowers bekannt. Das Dokument gibt einen erhellenden Einblick in das Ausmaß der horizontalen und vertikalen Strukturen der, man kann es nicht anders sagen, bundesdeutschen Staatspropaganda, insbesondere was die behördliche Einbindung von Medien (z.B. Spiegel und Stern), westlichen Social-Media-Konzernen, Bildungseinrichtungen und den sogenannten „Faktencheckern“ angeht. Selbst Grundschulkinder werden ins Visier genommen. Aus all dem ergibt sich der konzertierte Versuch einer Informations-Gleichschaltung durch die Bundesregierung. Von Florian Warweg.

Das Dokument trägt den Titel „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“, umfasst insgesamt 10 Seiten und listet minutiös mit Stand 27.06.2022 die entsprechenden Aktivitäten der Bundesministerien und untergeordneten Behörden auf. Und diese Aktivitäten haben es in ihrer Gesamtheit in sich. Die NachDenkSeiten werden sich in der Auswertung im ersten Teil auf die Ausführungen zur Rolle des BMI (Innenministeriums), des AA (Auswärtigen Amtes), des BPA (Bundespresseamtes) und der BKM (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien) konzentrieren. Im zweiten Teil auf die Tätigkeiten des BMDV (Bundesministerium für Digitales und Verkehr) sowie des BMFSFJ (Bundesfamilienministerium) und des BMVg (Bundesverteidigungsministerium).

SPD-geführtes Innenministerium als zentrale Schaltstelle der staatlichen Propagandaaktivtäten

Den Anfang der Aufzählung macht das SPD-geführte Bundesinnenministerium (BMI) unter Nancy Faeser. So soll das BMI federführend und „ressortübergreifend“ die „Erkennung und Abwehr hybrider Bedrohungen“ koordinieren. Geleitet wird dies von der „UAG RUS/UKR“ (UAG steht im ministeriellen Sprech für Unterarbeitsgruppen). In diesem Zusammenhang soll unter anderem alle zwei Wochen ein Lagebericht „Hybride Bedrohungen“ mit Schwerpunkt Russland-Ukraine verfasst werden. Besonders ins Auge fällt aber der im Dokument aufgeführte sogenannte „10-Punkte-Resilienz-Plan“.

Der erste Punkt in diesem „Plan“ ist die konzertierte „Verlinkung zu Faktencheckern auf den Webseiten der Bundesregierung“. Private und hauptsächlich vom US-Milliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar finanzierte „Faktenchecker“ wie Correctiv oder beitragsfinanzierte wie der ARD-Faktenfinder sollen massiv durch die „Webseiten der Bundesregierung“ beworben werden. So viel zur postulierten „Staatsferne“ und „Unabhängigkeit“ der Faktenchecker.

Des Weiteren sollen Broschüren zu „Desinformation im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine“ produziert und an Bundesministerien, Bundestagsabgeordnete, Länder und Kommunen verschickt werden. Ergänzt wird die Aufzählung mit dem Verweis: „Verteilung an Multiplikatoren in der Zivilgesellschaft läuft.“

Besonders aufschlussreich ist auch der 5. Punkt im „Resilienz-Plan“, dieser widmet sich der Zusammenarbeit mit der Presse. Erwähnt wird beispielsweise ein „Spiegel-Hintergrundgespräch“ am 31.03. und die Vorbereitung von Namensartikeln und Interviews mit Innenministerin Faeser, explizit wird in diesem Zusammenhang auf STERN und Tagesspiegel verwiesen. Ebenso wird erwähnt, dass es gelungen sei, den Begriff „Task Force gegen Desinformation“ in der Berichterstattung zu etablieren. Unter (russischer) „Desinformation“ wird im Dokument pauschal alles verstanden, was einer Wiedergabe der offiziellen russischen Position entspricht. Und dies ausschließlich in Bezug auf die russische Seite. Weder offizielle ukrainische oder US-amerikanische Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine werden von der Bundesregierung in gleicher Weise per se als „Desinformation“ bewertet.

Ein weiterer aufgeführter Aspekt des Plans ist der „Outreach in den parlamentarischen Raum“, also die Einflussnahme auf Abgeordnete in Bundestag und Landesparlamenten. Kein unproblematisches Vorhaben, eingedenk einer eigentlich existierenden Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative.

Ebenso wird als zentraler Punkt im „Resilienz-Plan“ die „anlassbezogene“ Intensivierung der Kontakte und Gespräche mit den Plattformbetreibern sozialer Netzwerke genannt, „um diese für staatlich gesteuerte Desinformation zu sensibilisieren“. Explizit ist in dem Dokument von Twitter, Meta, Google und Telegram die Rede. Geführt werden sollen die Gespräche auf „Staatssekretär-Ebene“.

Nicht minder problematisch erscheint der Plan, Einfluss auf die „Curricula in den Schulen sowie unter Einbindung der Volkshochschulen und ehrenamtlicher Strukturen“ zu nehmen.

Abschließend wird darauf verwiesen, dass die Arbeit an der Umsetzung des „Aktionsplans von Bund und Ländern gegen Desinformation und für eine wehrhafte Demokratie“ begonnen habe.

Auswärtiges Amt, Bundespresseamt und BKM als weitere Hauptakteure staatlicher Propaganda- und Zensurbemühungen

Neben dem Innenministerium tritt das Auswärtige Amt (AA) in dem Dokument als Protagonist im postulierten „Kampf gegen (russische) Desinformation“ auf. Dabei fällt auf, dass bei dem gesamten Maßnahmenkatalog des AA ausschließlich von „russischer Desinformation“ die Rede ist und nachdrücklich der Eindruck erweckt wird, es käme „Desinformation“ und Narrativpflege weltweit nur aus einem einzigen Land.

So heißt es in dem Dokument zu „Maßnahmen im Rahmen des Kommunikationskonzeptes RUS/UKR“ des AA:

  • „Beobachtung und Analyse aktueller russischer Narrative und Desinformation
  • Erstellung eines „living documents“, das „klassische und aktuelle russische Narrative zum Ukraine-Krieg dekonstruiert/entkräftet“
  • Förderung von Projekten zum Ausbau der Resilienz gegenüber (v.a. russischer) Desinformation (…).“

Laut dem vorliegenden Dokument vernetzt sich das AA in Fragen der Desinformation vor allem („intensiv und bilateral“) mit Vertretern der USA. Explizit genannt werden in diesem Zusammenhang das International Partnership to Counter State-Sponsored Disinformation (IPCSD) sowie die Counter Foreign Interference Group (CFI).

Aufschlussreich ist auch der letzte in dem Dokument aufgeführte Punkt hinsichtlich der Aktivitäten des AA. Dort ist von „(…) Förderung der von Deutsche Welle und DW Akademie eingebrachten Projektvorschläge zum Ausbau der Berichterstattung für UKR/RUS sowie Stärkung der Medienkompetenz (…)“ die Rede. Wir halten fest, das Auswärtige Amt, ein Bundesministerium unter Führung der Grünen-Spitzenpolitikerin Annalena Baerbock, plant die Förderung von Projekten des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle. Wie sich das mit dem Deutsche-Welle-Gesetz (DWG) verträgt, welches zur Ermöglichung „einer unabhängigen Meinungsbildung“ verpflichtet, wäre nur eine von mehreren Fragen angesichts dieser im Dokument aufgedeckten Planungen des AA.

Das Bundespresseamt (BPA) leitet zusammen mit dem AA die sogenannte „EG Desinformation“ (auf telefonische Nachfrage der NDS am 27.9., wofür in diesem Zusammenhang EG steht, konnte die verantwortliche Chefin vom Dienst beim BPA keine Auskunft geben). Das BPA ist laut dem Dokument verantwortlich für die „regierungsinterne Sensibilisierung für das Thema und den Umgang mit Desinformation“. Darüber hinaus bietet es ein „ressortübergreifendes Schulungsangebot“ zu Desinformation an. Pikant hierbei: Die Schulungen macht nicht das BPA selbst, sondern private Drittanbieter wie das „Institute for Strategic Dialogue“ (ISD) und der „Business Council for Democracy“ der Hertie-Stiftung.

Das ISD, mit explizit transatlantischer Ausrichtung und Hauptsitz in London, hat im Vorstand so illustre Personen sitzen wie Karl-Theodor zu Guttenberg, den Unternehmensberater Roland Berger und den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE, Matthias Döpfner.

„Ressortübergreifende Schulungen“ zu Desinformation für Mitarbeiter der Bundesministerien werden also von einer transatlantischen Lobbyorganisation, in deren „Board“ aufgeflogene Plagiatoren und der Chef der – apropos Desinformation – regelmäßig Fakenews verbreitenden Springer-Presse sitzen, sowie der privaten Stiftung eines Kaufhaus-Magnaten durchgeführt. Viel besser kann sich der Outsourcing-Ansatz in Bundesbehörden wohl nicht ad absurdum führen.

Abschließend wird in dem Dokument aufgeführt, dass die Vize-Regierungssprecher regelmäßig im „bilateralen Austausch mit Google/YouTube, Twitter, Meta, Tiktok und LinkedIn“ stehen, um die „jeweiligen Strategien der Plattformen zur Bekämpfung von Desinformation, insbesondere im Kontext des Krieges in der Ukraine“ zu besprechen.

Das heißt, laut dem Dokument haben sowohl das Innen- und Außenministerium als auch das Bundespresseamt jeweils regelmäßige bilaterale Treffen (auf Staatssekretär-Level) mit den großen Plattformbetreibern zu „russischer Desinformation“ im Kontext des Ukraine-Krieges. Den dadurch aufgebauten Konformitäts- und Zensurdruck kann man wohl als signifikant bewerten.

Ein weiterer bedeutender Akteur ist die direkt dem Kanzler unterstellte „Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien“ (BKM), Claudia Roth. Sie verfügt über ein Budget von über zwei Milliarden Euro, 400 Mitarbeiter und trägt die Verantwortung für die Medienpolitik der Bundesrepublik (und finanziert in diesem Rahmen unter anderem den deutschen Auslandssender Deutsche Welle).

In dem den NachDenkSeiten vorliegenden internen Dokument ist unter anderem vom „Aufbau einer russischen Exilredaktion in Riga“ sowie „wenn nötig, Aufbau einer Exilredaktion Ukrainisch in Krakau, Polen“ die Rede. Beim „EU-Medienministerrat“ scheint das BKM dem Papier zufolge eine zentrale und proaktive Rolle beim „Vorgehen gegen russische Propagandamedien“ zu spielen.

Ebenso vertritt das BKM eine Vorreiterrolle bei den Verhandlungen zum orwellisch klingenden „European Media Freedom Act“ und versucht dort, den Fokus auf „Desinformation“ zu legen.

Das BKM plant zudem laut dem Dokument ein neues Förderprogramm „mit Schwerpunkt Nachrichtenkompetenzförderung der Gesamtbevölkerung zur Bekämpfung von Desinformation.“

Ein weiteres Projekt, welches Fragen aufwirft, ist der nicht weiter konkretisierte Einsatz von Kinderreportern ab 6 Jahren gegen „Desinformation“. Im Dokument heißt es dazu unter anderem:

„Kinderreporter – Stärkung Nachrichtenkompetenz und damit Resilienz gegenüber Desinformation 6-14-Jähriger durch aktive Medienarbeit.“

Abschließend wird auf das Projekt „Künstliche Intelligenz gegen Desinformation“ (KID) der Deutschen Welle verwiesen. Dabei sollen „KI-Module der „Digitalen Forensik“ zur Verbesserung der (teil)automatisierten Identifizierung von Manipulationen und konzertierter Desinformationskampagnen“ eingesetzt werden. Brave new world…

(Kurze Anmerkung zur relativ schlechten Qualität der Screenshots. Der Whistleblower hat uns gebeten, um jede mögliche Rückverfolgung auszuschließen, nur Fotos von dem Dokument zu machen und diese dann als Screenshots bei den NachDenkSeiten zu veröffentlichen. Dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen.)

Der Whistleblower hat uns gegenüber auch dargelegt, was ihn zu diesem Leak motiviert hat. Gegenüber den NachDenkSeiten erklärte er, dass er, als dieses Dokument auf seinem Arbeitsrechner eintraf, zutiefst erschrak. Für ihn sei dies „der konzertierte Versuch einer Narrativ-Gleichschaltung“. Weiter führte er aus:

„In meinen Augen ist es ein Blick in den Abgrund der gebündelten Aktivitäten einer horizontalen (ressort-übergreifenden) und vertikalen Integration moderner Staatspropaganda. Von den Ministerien und ihren Partnerschaften mit transatlantischen Denkfabriken wie dem ISD bis hinab in die Presse, “Faktenchecker”, Social Media, “Multiplikatoren”, “kritische Zivilgesellschaft” und so weiter. Selbst vor der Einbindung von Schulen und Kindern im Grundschulalter machen Sie nicht halt.“

Des Weiteren führte er gegenüber den NachDenkSeiten aus, dass dieses Dokument nur „die Spitze des Eisberges“ sei und die aufgeführten Projekte nicht vollständig seien. Alles was in diesem Dokument aufgelistet ist, wäre für die Bundesregierung ein noch verschmerzbares Leak, da es nur die im Zweifel kommunizierbaren Maßnahmen umfasse. Die deutsche Öffentlichkeit hätte keine Vorstellung davon, was sonst noch im Hintergrund dazu ablaufe.

Abschließend noch etwas zum mutmaßlichen Verfasser dieses internen Dokumentes. Laut den Meta-Daten des Original-Word-Dokuments wurde diese Auflistung der Bundesregierung von einer Person erstellt, deren Namen wir aus Rücksicht auf ihr Privatleben nicht nennen wollen, deren Vita aber interessante Einblicke vermittelt, wer solche „ressortübergreifenden“ Papiere zu dieser Thematik aufsetzt. Man findet über die Person fast nichts online, aber das Wenige, was man findet, spricht für sich. Bei LinkedIn findet man einem Beitrag, in welchem dem Verfasser des Dokuments „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“, von der BwConsulting (BwConsulting ist das Inhouse-Beratungsunternehmen des Bundesministeriums der Verteidigung) für die Zusammenarbeit gedankt wird, zudem ist die Person Autor eines Fachbuchs über das Management von Militäroperationen der NATO und EU.

 

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Agitation der Bürger durch die Bundesregierung?

Die Sächsische Zeitung stellte in ihrer heutigen Ausgabe am 29.9.2022 das neue Buch von Richard David Precht und Harald Welzer “Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinungen gemacht wird auch wenn sie keine ist” vor.

Der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer stellen in ihrem gemeinsamen Buch dar, dass ihrer Meinung nach die Medien – und damit sind Rundfunk, Fernsehen und die wichtigsten Zeitungen gemeint – nicht mehr über die Politik berichten, sondern selbst Meinungen machen und Sprachrohr der Regierung sind. Der Vorwurf in diesem Buch lautet, dass eine Mehrheitsmeinung gemacht wird. Precht und Welzer behaupten, dass hier nicht die Demokratie medial begleitet wird, sondern dass wir mittlerweile in einer Mediokratie angekommen sind. Diese Entwicklung führt zu einer Zerstörung des gesellschaftlichen Miteinanders und zerstört auch die Demokratie.

Wir wollen an dieser Stelle nicht weiter auf die Ausführungen in der sächsischen Zeitung eingehen, die in ihrer Betrachtung des Buches davon ausgeht, dass die Behauptungen von Precht und Walzer überzogen und teilweise auch nicht seriös seien. Den Autoren wird vorgeworfen, teilweise auf Stammtischniveau zu argumentieren.
Nun braucht man keine wissenschaftlichen Gutachten zu bemühen, um einfach durch empirische Wahrnehmung zur Kenntnis zu nehmen, dass die Leitmedien – hier muss man insbesondere auf die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verweisen – ihren Konsumenten eine Sichtweise der Dinge darlegen, wie sie von der gegenwärtigen linksorientierten Regierung vorgegeben werden soll. Warum wird im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die falsche Sprechweise des “Genderns” verwendet, obwohl bekannt ist, dass ca. 80% der Bevölkerung diesen ideologischen Unfug ablehnen? Und wenn man sich die Unterhaltungssendungen ansieht, stellt man fest, dass hier zielstrebig ein Meinungsbild verbreitet wird, das von bestimmten linksradikalen Regierungskreisen den Bürgern vermittelt werden soll. Es gibt so gut wie keinen Film, indem nicht mindestens ein Schwarzer und Lesben oder Schwule oder sonstige Queere in die Handlung eingebaut werden, um den Eindruck zu vermitteln, dass es sich dabei um eine Normalität der Gesellschaft handeln würde. Genau das ist es, was Precht und Welzer auch darlegen, dass sich die Medien missbrauchen lassen, um die verqueren und bürgerfeindlichen Vorstellungen der linken Regierung den Bürgern zu vermitteln, so dass hier nicht über Sachverhalte berichtet wird, sondern in einer Oberschulmanier die Bürger erzogen werden sollen.

Insofern es gut, dass Leute wie Precht und andere auf diese Agitation des Staates aufmerksam machen und darauf hinweisen, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihre Macht missbrauchen. Sie zerstören damit die demokratische Gesellschaft und scheinen dies noch nicht einmal zu bemerken.
Was mich aber noch mehr erschüttert, ist das Auftauchen eines Dokuments mit dem Titel: Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS-Krieg gegen UKR. In diesem Papier, das von einem Informanten der “NachDenkSeiten” zugespielt worden ist. Der Inhalt dieses Dokuments vermittelt einen Einblick, wie unter dem Deckmantel der angeblichen Vermeidung und Verhinderung von Falschmeldungen eine systematische Meinungsbildung der Bevölkerung durch die Regierung in Deutschland erfolgen soll. Wie die “NachDenkSeiten” berichteten, leitet das Bundespresseamt (BPA) zusammen mit dem Außenministerium die sogenannte “EG-Desinformation”. Was mit „EG-Desinformation gemeint sein soll, wurde den „NachDenkSeiten“ auf Anfrage beim BPA nicht mitgeteilt.

Wir können nur dringend empfehlen, die Ausführungen der NachDenkSeiten mit der Überschrift: “Dokumenten-Leak: wie die Bundesregierung an einer Narrativ-Gleichschaltung zum Ukraine-Krieg arbeitet” selbst zu lesen. Wenn sich die Unterlagen als echt herausstellen sollten, zurzeit gibt es keine Zweifel, dass dies zutrifft, dann handelt es sich um einen der größten Skandale einer Regierung, die den Versuch unternimmt, mit Steuermitteln, also dem Geld der Bürger, diese im Sinne der Bundesregierung zu beeinflussen. Wie aus dem Papier zu entnehmen ist, ist die Agitation breit angelegt und umfasst nicht nur die Zielgruppe der erwachsenen Bürger, sondern bezieht auch Kinder und Jugendliche in den Schulen und in den Hochschulen ein.

Man sollte verstärkt darauf achten, welche “Informationsbroschüren” die Bundesregierung – natürlich auf Kosten der Steuerzahler – verbreitet und inwieweit es sich hier nicht um allgemein übliche Informationen der Regierung an die Bürger handelt, sondern eine gezielte einseitige Propaganda verbreitet werden soll.
Den Artikel von den “NachDenkSeiten” werde ich auf meinem Internetportal veröffentlichen.

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Aktuell

Leserbriefe zu „Der Nichtwähler in der deutschen Parteien-Demokratur“

Ein Artikel von Sven Brajer 
NachDenkSeiten

Seit den 1970er Jahren ging die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen bis 2021 um etwa 15 Prozent zurück. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen konnte sich bei den letzten Landtagswahlen nur noch gut jeder zweite Wahlberechtigte für eine Partei an der Wahlurne begeistern. Neben der Angleichung und Austauschbarkeit der politischen Akteure und parteipolitischen Programme gesellten sich zuletzt noch hierzulande unbekannte „Wahlpannen“ wie in Berlin hinzu. Viele Menschen fragen sich daher zu Recht: Wozu noch wählen gehen? Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer.

Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten“ (Kurt Tucholsky)

Im deutschen Grundgesetz mit seinen 146 Artikeln kommt das Wort „Partei(en)“ sieben Mal vor, davon allein fünf Mal im Artikel 21. Dort heißt es zum Auftrag dieser Organisationen: „(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Sie wirken also mit – nicht mehr und nicht weniger – so die demokratische Theorie.

Unangemessene Machtfülle und: Die Kleinen fressen die Großen

Ambivalent interpretiert Prof. Heiko Geiling vom Institut für politische Wissenschaften der Leibniz Universität Hannover die Rolle der Parteien in der Bundesrepublik:

„Die Parteien haben faktisch das Monopol der politischen Elitenauswahl. Sie sind ein Verfassungsorgan, sie sind im Grundgesetz ausdrücklich genannt – und sie sind in ihrem ganzen Verfahren auf Demokratie verpflichtet. Wer nicht in einer Partei ist, wird große Probleme haben, sich als Kandidat, als Einzelkandidat durchzusetzen, weil […] dazu bedarf es Ressourcen, und die kann vielleicht in den USA Herr Trump mobilisieren, aber nicht hier der Durchschnittsbürger.“

Zu konstatieren gilt einerseits, dass sich die Mehrzahl der Parteien hierzulande ideologisch immer stärker annähern und es andererseits eine ganz bestimmte Klientel in die Politik zieht, während sich viele Menschen dadurch nicht mehr vertreten fühlen und abwenden bzw. als parteilose Individuen ohnehin keine Chance haben, an die politischen Fleischtröge zu gelangen. Dann stellt sich die Frage, wie repräsentativ die im Bundestag und den Landtagen vertretenen Akteure die Gesellschaft tatsächlich darstellen bzw. vertreten. Verschärfend kommt dazu die völlig diskriminierende 5-Prozent-Hürde – die Wähler bzw. Stimmen kleinerer Parteien von vornherein als Stimmvieh zweiter Klasse deklariert.

Die Journalistin Hilde Weeg fragt daher zu Recht kritisch:

„Am Ende bestimmt das Volk? Verfassung und Wahlrecht sehen es so vor. Aber tatsächlich bestimmen nur wenige – vor allem über die Auswahl der Repräsentantinnen und Repräsentanten des Volkes. Denn von den gut 61 Millionen Wahlberechtigten für die Bundestagswahlen waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2014 nur rund zwei Prozent in Parteien organisiert, also etwa 1,2 Millionen Menschen [die Zahlen stimmen auch noch im Jahr 2022]. Von diesen wiederum sind nur wenige tatsächlich aktiv. Sie sind es, die tatsächlich über die Köpfe in der Politik bestimmen.“

Der Politikwissenschaftler Wolf Wagner schreibt über die Parteien:

„Sie [die Parteien] sind die absolut dominanten Akteure der Politik. Sie haben die Macht in [den] Händen. Wer wirklich etwas bewirken will, sollte in eine politische Partei eintreten.“

Doch auch die in den Parteien Aktiven kommen schnell an ihre Grenzen, denn bei den ehemaligen Volksparteien CDU und SPD sowie auch bei FDP, Linken und Grünen fällt auf: Wer bereits als Teenager in den Jugendorganisationen aktiv war und später in möglichst vielen Parteigremien, Ausschüssen und in den Parteien nahestehenden Stiftungen präsent ist, kommt weiter auf der „Ochsentour“, der Rest hat zumeist das Nachsehen und darf Wahlplakate kleben. Permanentes Netzwerken, Seilschaften zu „alten Hasen“ und die ununterbrochene (mediale) Selbstpräsentation sind für die Funktionäre unabdingbar: Persönlichkeit, Idealismus, berufliche Ausbildung oder Qualifikation sowie gesellschaftliche Analysefähigkeiten stehen zumeist deutlich weniger im Vordergrund.

Der Blick auf die aktuelle Bundesregierung offenbart das! So trat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits mit zarten 17 den Jusos bei und Finanzminister Christian Lindner ging mit 16 direkt zur FDP – dagegen wirkt die grüne Außenministerin Annalena Baerbock wie eine Spätzünderin – sie fand „erst“ mit 24 zu ihrer Partei. Alle diese Politik-Dinosaurier sind also schon lange im politischen Parteiengeschäft, ihre Eignungen für die jeweiligen Ämter, geschweige denn die Fähigkeit, ihre Politik nachvollziehbar und weniger moralisch bzw. überhaupt zu erklären, sind dagegen überschaubar.

Alternativlose Angleichung und Austauschbarkeit

Die eigentliche innerparteiliche Macht hat, wer die Kandidaten für die besten Positionen auf den Wahllisten maßgeblich unterstützt – und das sind in der Regel die Meinungsmacher in den einzelnen Landesverbänden – zumeist die Vorsitzenden der Parteien. Bereits 1994 mahnte der Jurist Jochen Hofmann-Hoeppel im Sinne einer funktionierenden Demokratie an, „daß das parteiinterne Kandidatenkartell, das die Wahlaufstellungsverfahren beherrschte, ein Ende zu finden hat“.  Bis heute hat sich an diesem Klüngel der Parteioberen allerdings nichts geändert, ganz im Gegenteil trifft die aktuelle und niederschmetternde Diagnose des Historikers und „Radikalliberalen“ (Ralf Dahrendorf) Fritz Goergen  leider ins Schwarze:

„Die Parteien haben sich nach dem bekannten Satz von Hans Herbert von Arnim den Staat zur Beute gemacht, der seitdem Stück für Stück immer noch neue Teile der Staatstätigkeit durch steuerfinanzierte Nichtregierungsorganisationen (NGO) ersetzt und ergänzt, was zu einer völlig neuen Bedeutung des Wortes Zivilgesellschaft geführt hat. […] Die Parteien sind nicht reformierbar, weil Berufspolitiker und solche, die es werden und bleiben wollen, tun müssen, was die kleine Zahl der Tonangebenden in den Fraktionsspitzen des Bundestags wollen, sonst ist ihre Karriere zu Ende.“

Oder anders ausgedrückt: „Die überwältigende Mehrheit der heute agierenden Politiker – mit Ausnahme der kommunalen Ebene – sind Berufspolitiker. Über die Hälfte der Bundestagsabgeordneten geben als Beruf „Mandatsträger“ an – eine kleine, aber mächtige Gruppe, die von der Politik für die Politik lebt. Etwa 10.000 bis 20.000 Personen umfasst insgesamt auf allen Ebenen diese einflussreiche ‚politische Klasse‘“. Dazu kommt, dass das Verkleinern des politischen Meinungskorridors auf der rechten und linken Seite zu einer inhaltlichen Entkernung der alteingesessenen Parteien geführt hat. So werden einerseits konservativ tradierte bis patriotische Weltanschauungen, die vor 20 Jahren noch eine CDU vertrat, und andererseits die Interessen der arbeitenden Bevölkerung sowie der sozial Schwachen – früher von ehemals linken Parteien wie SPD und PDS/DIE LINKE verteidigt – als „populistisch“ gebrandmarkt – die Angst vor dem Populus, dem Volk, ist enorm groß. Der Psychologe und Medienkritiker Rainer Mausfeld sieht hinter diesen Verleumdungs- und politischen Gleichschaltungsbestrebungen eine elitäre Strategie der Machterhaltung ohne Respekt vor den (Nicht)wählern, welche dort freilich auf den von etablierten Parteien und ihren dominanten Akteuren selbsterzeugten Widerstand mitsamt teils gesellschaftlich verheerenden Folgen trifft:

„Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Affekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit populistischer Wucht und Unberechenbarkeit, oft auch in Formen, die mit dunkleren Seiten der menschlichen Natur verbunden sind. Diese Affekte sind oft als Abwehr gegen die eigenen Ohnmachtsgefühle zu verstehen und richten sich nun vor allem gegen die sozial Schwächsten. Ohnmachtsgefühle wurden und werden seit Jahrzehnten in systematischer Weise erzeugt, um das Volk von einer politischen Partizipation fernzuhalten. Das Aufblühen des sogenannten Rechtspopulismus ist also eine direkte Folge der vorhergegangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik und Ideologie der Alternativlosigkeit und der damit verbundenen Entleerung des politischen Raumes. Zugleich sucht die neoliberale „Mitte“ den von ihr erst mit hervorgebrachten Rechtspopulismus für eine weitere Angsterzeugung zu nutzen, um sich durch eine solche Drohkulisse bei Wahlen zu stabilisieren.“

Steter Rückgang der Wahlbeteiligung und das Novum der „Wahlpannen“

Den Regierenden ist es heute im Umkehrschluss völlig egal, ob ein Bundeskanzler wie Helmut Kohl 1983 mit 48,8 Prozent für seine Partei und einer Wahlbeteiligung von 89, 1 Prozent von fast jedem Zweiten gewählt wurde oder sich wie Olaf Scholz 2021 mit 25,7 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 76,6 Prozent nicht einmal mehr jeder Vierte für die Partei, die den Kanzler stellt, erwärmen konnte. Ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte stellen die euphemistisch als Wahlpannen in der Hauptstadt Berlin bezeichneten Verletzungen der allgemeinen, freien und geheimen Wahl, wie sie im Grundgesetz vorgeschrieben ist, dar. Bei der Bundestagwahl im September 2021 führten zu wenige Wahlkabinen zu langen Warteschlangen, gefrustete Bürger nahmen Reißaus, aus welchen Gründen auch immer von vornherein „falsche Stimmzettel“ mit eindeutigem Wählerwillen wurden als ungültig gezählt. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist jedes zweite Wahlprotokoll fehlerhaft und so schrieb Gunnar Schupelius in der Berliner Zeitung:

„In Friedrichshain-Kreuzberg wurden die Wahlprotokolle lose in Pappkartons geworfen, auf vielen fehlen die Ergebnisse oder die Unterschrift, Zahlen wurden durchgestrichen und Spalten vertauscht. Es gab mehr Wähler als Wahlberechtigte und falsche Stimmzettel wurden für die Zweitstimme ausgegeben. Außerdem wurden ungültige Stimmen drei Tage nach der Wahl vom Bezirkswahlleiter wieder für gültig erklärt, was insbesondere Grünen, SPD und Linken zugutekam.“

Ob deswegen die Bundestagswahl in großen Teilen der Hauptstadt tatsächlich wiederholt wird, gilt dennoch als unwahrscheinlich – der Berliner Verfassungsgerichtshof will Ende September – also ein ganzes Jahr nach der Wahl – darüber entscheiden.

Die Parteien und die Medien

Was in den letzten Jahren immer deutlicher zum Vorschein tritt und sich zwangsläufig in der „Berichterstattung“ widerspiegelt, ist die Verflechtung der Parteien mit den Medien. Dominiert in den Rundfunkräten vom NDR über den SWR  bis zum BR vor allem die SPD und die CDU/CSU, zeigte eine Umfrage aus dem Jahr 2020 auf, dass etwa 90 Prozent der Volontäre der ARD und vom Deutschlandfunk SPD, Grüne und die Linke politisch präferieren. Das ist umso kritischer zu sehen, da die beiden Medienanstalten die „öffentlich-rechtlichen“ Flaggschiffe in ihrer Sparte, welche durch rigoros eingetriebene Zwangsgebühren in stattlicher Höhe alimentiert werden, darstellen. 57,1 Prozent der staatlichen Nachwuchsjournalisten gab dabei an, die Grünen zu wählen, CDU, FDP und AfD schafften zusammen (!) nicht einmal fünf Prozent.

Doch auch in privaten Medien zeigen sich bedenkliche Tendenzen, so hat sich die einstmals linke TAZ aus Berlin zur bedingungslosen Unterstützerplattform der Grünen gemacht und entblödet sich nicht, deren Waffenlieferungen in Kriegsgebiete mit großem propagandistischen Tam-Tam („Frieden schaffen mit mehr Waffen“) zu unterstützen. Ähnliche Begeisterungsstürme für HabeckBaerbock und Co. ist man vom Spiegel mittlerweile gewohnt, neu ist allerdings, dass sich auch die ehemals konservative FAZ („Deutschlands führende Tagezeitung“) etwa seit dem Vorfeld der Bundestagwahlen für die selbsternannten Welt- und Klimaretter begeistern kann. Dass so eine einigermaßen neutrale Berichterstattung bzw. Meinungsbildung mit Füßen getreten wird – erst recht, wenn man den Umgang der genannten Medien mit der AfD, der Wagenknecht-Linken und der Partei dieBasis verfolgt, höhlt nicht nur die Demokratie und Meinungspluralität aus, sondern lässt jegliches kritisches Hinterfragen der Regierungsparteien aus – was doch eine der Hauptaufgaben des Journalismus ist.

Entfremdung und Resignation beim „Souverän“

In der Konsequenz ist es wenig verwunderlich, wenn der potentielle Wähler immer öfter zuhause bleibt oder aus Frust den Stimmzettel in der Wahlkabine ungültig macht. Denn einerseits ist er von den gehypten Parteien, die sich bei den Themen Klima, NATO/Russland, Corona, „Gender“ und Migration alle mehr oder weniger einig sind und dafür für die von ihnen verschuldeten existentiellen Sorgen der Bürger vernachlässigen, angewidert, andererseits traut er sich in vielen Ecken des Landes nicht, für die abgecancelten „Schmuddelkinder“ in der Opposition zu votieren. Es zeigt sich jedoch generell, dass jede Partei an der Macht korrumpierbar ist und ihre Wurzeln zum Teil völlig verleugnet – ein Phänomen der Postmoderne des 21. Jahrhunderts, wie zurzeit in atemberaubender Weise die Grünen, aber auch die FDP beweisen. Daher stellt sich die Frage: Für was braucht das Volk, der Souverän, überhaupt noch Parteien?

Dieser Beitrag erschien zuerst beim Portal „Im Osten. Perspektiven wider den Zeitgeist“.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: PhotoSGH/shutterstock.com

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„Genug ist genug – Protestieren, statt frieren“ – Breites Bündnis ruft in Berlin zu Montagsdemo vor Bundesgeschäftsstelle der Grünen auf

Ein Beitrag der NachDenkSeiten – Für alle, die sich noch eigene Gedanken machen. 

Unter dem Motto „Genug ist genug – Protestieren, statt frieren“ und ergänzt um den Slogan „Heizung, Brot und Frieden“ plant ein breites Bündnis für Montag den 5. September um 18 Uhr einen Protestzug vor der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen am Platz vor dem Neuen Tor 1 in Berlin. Die Organisatoren verwehren sich laut ihrer Darstellung dagegen, dass diejenigen, die die Gesellschaft am Laufen halten, „die Zeche für die Fehlentscheidungen der Ampel-Regierung“ zahlen müssten, „während sich die Superreichen und Großkonzerne die Taschen vollstopfen“. Vor diesem Hintergrund stellt das Organisationsbündnis mehrere Forderungen, unter anderem Rücknahme der „unsozialen Gasumlage“ sowie die Besteuerung von Krisengewinnen und die Überführung der Energiewirtschaft in öffentliche Hand. Von Florian Warweg.

Das Bündnis unter dem Arbeitsnamen „Heizung, Brot und Frieden“ wird sich an diesem Freitag endgültig konstituieren. Bislang treibende Kräfte sind die Sammlungsbewegung „Aufstehen“, die NaturFreunde Deutschlands, Gewerkschaftszusammenhänge sowie Teile der Linkspartei (einer der Initiatoren ist z.B. der Abgeordnete der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Alexander King), ergänzt um zahlreiche bekannte Einzelpersonen aus dem Kontext der Sozialen Bewegungen wie beispielsweise der Mietenaktivist Michael Prütz und der Autor Marcus Staiger.

Die NachDenkSeiten befragten einen der Hauptorganisatoren und Anmelder der Kundgebung, Uwe Hiksch, Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde Deutschlands, nach Motivation und Forderungen der neu ins Leben gerufenen Berliner Montagsdemo. Hiksch erklärte gegenüber den NachDenkSeiten:

„Unter dem Motto „Genug ist genug – Protestieren, statt frieren“ machen wir deutlich, dass wir nicht mehr hinnehmen, dass die Bundesregierung den Menschen immer höhere Kosten aufbürdet und sehenden Auges hinnimmt, das immer mehr Menschen in die Verarmung gestürzt werden. Während die Energiekonzerne schamlos Milliarden scheffeln, sollen Arbeitnehmer und Handwerker, Selbstständige, Geflüchtete und Arme die Zeche zahlen.

Hinsichtlich der Frage nach den Forderungen führte er aus:

„Unsere Forderungen lauten: Weg mit der Gasumlage, Lebensmittelpreise runter und eine gesetzliche Deckelung der Gas- und Strompreise. Wir NaturFreunde hoffen auf einen ‚heißen Herbst‘, damit die Regierung ihre falsche Politik beendet. Gemeinsam mit vielen werden wir im Herbst für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit auf die Straße gehen.“

Die NachDenkSeiten wollten zudem von ihm wissen, wieso sich das Protest-Bündnis dazu entschieden hat, die erste Protestveranstaltung vor der Grünen-Zentrale abzuhalten:

„Wir gehen gemeinsam vor die Bundeszentrale von Bündnis 90/Die Grünen, da der Wirtschaftsminister maßgeblich für die katastrophale Gasumlage und die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik verantwortlich ist. Von der Außenministerin erwarten wir, dass sie mit ihren Aussagen die derzeitige fragile außenpolitische Situation nicht immer weiter anheizt, sondern zu einer Deeskalationsstrategie beiträgt.“

Auf die Frage der NachDenkSeiten, wie sich das Bündnis zu der Forderung nach Aufhebung der Sanktionen verhält wurde uns erklärt, dass diese Forderung bisher keinen Konsens im Bündnis fand und diese Frage derzeit noch weiter diskutiert wird. Allerdings sei die Forderung, artikuliert als Meinung einzelner Bündnis-Partner, im Rahmen der Bündnisaktivitäten zulässig.

Damit sich die Leser und Leserinnen der NachDenkSeiten ein eigenes Bild von der inhaltlichen Ausrichtung des Bündnisses machen können, geben wir den offiziellen Demonstrationsaufruf des Bündnisses im Wortlaut wieder:

„Genug ist genug – Protestieren, statt frieren

Protestkundgebung vor der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen | Mo., 5.9., 18:00 | Platz vor dem Neuen Tor 1 | 10115 Berlin“

Es wird immer offensichtlicher: Die Zeche für Krieg und Krisen zahlen wir. Wir, die einfachen Leute, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Handwerkerinnen und Handwerker, Angestellten, Arbeitslosen, kleinen Selbstständigen, Kleingewerbetreibenden, Geflüchteten und Armen. Wir, die diese Gesellschaft am Laufen halten, zahlen die Zeche, während sich die Superreichen und Großkonzerne die Taschen vollstopfen, Profite mit den Krisen machen und in den Weltraum fliegen. Das ist Zynismus pur.

Während die Energiekonzerne Krieg und Krise schamlos ausnutzen und ihre Gewinne in die Höhe schrauben, droht zwei Dritteln dieser Gesellschaft eine regelrechte Verarmung. Während die regierende Ampel-Koalition im Handumdrehen 100 Milliarden Euro für ein Rüstungspaket locker machen kann und die Aktienkurse der Rüstungsindustrie in die Höhe schießen, gibt dieselbe Regierung Tips fürs richtige Duschen und sieht sich nicht in der Lage, Sondersteuern auf Extragewinne zu erheben oder die Energiepreise zu deckeln.

Wir sagen Schluss damit, da machen wir nicht länger mit. Wir nehmen das nicht länger hin. Wir wollen eine andere Wirtschaft und eine grundsätzlich andere Politik. Gegen die Superprofite der Energiewirtschaft gibt es nur einen sicheren Weg: Energiewirtschaft in öffentliche Hand.

Aus diesen Gründen fordern wir:

  1. Weg mit der unsozialen Gasumlage!
  2. Lebensmittelpreise runter, Löhne und Einkommen rauf!
  3. Gesetzliche Deckelung der Gas- und Strompreise!
  4. Krisengewinne besteuern!
  5. Energiewirtschaft in öffentliche Hand!

Lasst uns gemeinsam ein Bündnis für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit schmieden und auf die Straße gehen. Wir fordern: Energie und Essen für Alle! Schluss mit der Eskalation – die Waffen nieder! Für einen heißen Herbst – soll sich die Regierung warm anziehen!“