Wer aktuell an Weihnachten noch den Weg in die Kirche findet, erwartet – vielleicht instinktiv – einen geistlichen Impuls, der über das Tagesgeschäft hinausweist. Gerade vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz hätte man ein Wort erhofft, das Orientierung gibt: für Gläubige, für Suchende, für jene, die zwar nicht kirchentreu, aber doch von einer höheren Ordnung überzeugt sind. In einer Zeit, in der politische, gesellschaftliche und moralische Grundsätze immer diffuser werden, wäre dies eine Chance gewesen.
Bischof Bätzing begann seine Predigt mit einem großen kosmischen Bogen. Er erinnerte an die kaum vorstellbare Tatsache, dass die Erde mit 30 Kilometern pro Sekunde durch den Raum rast. Ein Einstieg, der tatsächlich hätte öffnen können – hin zu Transzendenz, zu der Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch, Welt und Gott.
Doch dieser Ansatz verpuffte. Statt die geistige Weite zu nutzen, stürzte der Bischof rasch in die Niederungen des politischen Alltags. Die vertrauten Schlagworte tauchten auf: „Wir zuerst“, „egoistischer Nationalismus“, Warnungen vor Abschottung. Es ist die Sprache des politischen Mainstreams – nicht die Sprache eines geistlichen Hirten. Die Parole „Wir zuerst“ ist kein spontanes Produkt der Bevölkerung, sondern das Ergebnis politischer Kampagnen. Und Begriffe wie „egoistischer Nationalismus“ dienen längst als Kampfbegriffe, um legitime regionale Bindungen zu diskreditieren.
Denn viele Menschen verstehen sich nicht als „Weltbürger“, sondern als Teil eines konkreten Umfelds: Familie, Nachbarschaft, Region, Volk. Diese Bindungen sind keine Feindseligkeit gegenüber anderen Kulturen, sondern Ausdruck natürlicher menschlicher Zugehörigkeit. Zusammenhalt entsteht nicht durch moralische Belehrung, sondern durch gelebte Nähe.
Auch der Sozialstaat ist nicht durch die Bürger beschädigt worden, sondern durch politische Entscheidungen. Die Kirchen haben dabei oft eine zweifelhafte Rolle gespielt. Ich erinnere mich gut an die Einführung der Pflegeversicherung: Norbert Blüm versprach die Lösung aller Probleme, und die Wohlfahrtsverbände – kirchliche wie nichtkirchliche – unterstützten das Gesetz begeistert, weil sie sich bessere Finanzierung ihrer Einrichtungen erhofften. Die Realität: mehr Bürokratie, mehr staatliche Kontrolle, weniger familiäre Verantwortung. Der verfassungsrechtliche Auftrag, die Familie zu schützen, wurde Schritt für Schritt ausgehöhlt.
Wenn Bischof Bätzing über das Wunder des Kosmos spricht, sollte er sich fragen, welchen Einfluss der Mensch tatsächlich auf das Weltgeschehen – etwa das Klima – hat. Wer die unvorstellbaren Dimensionen des Universums ernst nimmt, müsste zumindest Demut walten lassen.
Vielleicht wäre genau das die Aufgabe eines Bischofs: uns wieder an die Ehrfurcht vor Gott zu erinnern. Nicht an politische Parolen, nicht an die Schlagworte des Tages. Eine echte Hinwendung zu Gott verändert den Blick auf den Menschen: Jeder trägt etwas Göttliches in sich – nicht nur ein Bischof. Aus dieser Haltung heraus verbietet sich Gewalt, Ausbeutung, Verachtung. Und sie erlaubt zugleich, die eigenen Nächsten zuerst zu lieben: die Familie im engeren wie im weiteren Sinne – Region, Land, Volk.
So wie Familienmitglieder einander nicht beschimpfen oder vernichten, so sollten auch Völker einander begegnen. Das wäre ein Impuls gewesen, der Weihnachten würdig wäre.
Diesen Impuls hat Bischof Bätzing nicht gegeben. Schade.