Die Evangelische Kirche trat jetzt mit einer Denkschrift an die Öffentlichkeit, deren Überschrift „Welt in Unordnung – Gerechter Frieden“ darauf hinweisen soll, dass aktuell alles durcheinandergeraten sei und anderseits die Kirche einen Weg zeigen könnte, dass es einen gerechten Frieden geben könnte.
In einem über hundert Seite umfassendem Papier werden vier große Bereiche formuliert, die notwendig wären, um dem Frieden ein Schritt näher zu kommen. Allerdings stellt man sich auch die Frage, warum gerade jetzt ein solches Papier der Öffentlichkeit vorgestellt wird und welche Intention die evangelische Kirche mit dieser Schrift verbindet. Immerhin wird den Bürgern bereits seit einiger Zeit von unseren Politikern ein Weg zu einem angeblichen Frieden aufgezeigt, der allerdings nur dann erreichbar sein soll, wenn eine Kriegstüchtigkeit bei der Bevölkerung erreicht ist und eine Aufrüstung erfolgte, damit wir uns verteidigen können, um nicht Krieg führen zu müssen.
Betrachtet man die Ursachen, die aktuell eine Kriegsbedrohung darstellen, die in der Denkschrift genannt werden, dann wirkt es doch sehr negativ auf, dass sich die Unordnung in dieser Welt sehr stark auf das Problem Russland zu beziehen scheint. Russland hat durch seinen Angriffskrieg – wie er in der Denkschrift genannt wird – gegen die Ukraine gezeigt, dass es die größte Gefahr in Europa ist, so dass eine massive militärische Macht dem entgegengesetzt werden müsse.
Die Denkschrift der Evangelischen Kirche erhebt den Anspruch, Orientierung zu geben. Doch gerade dieser Anspruch wirft Fragen auf: Ist es wirklich die Aufgabe der Kirche, die geopolitischen Narrative der Politik zu wiederholen? Oder müsste sie nicht vielmehr eine Gegenstimme sein, die den Frieden nicht im Schatten der Aufrüstung, sondern im Licht der Gerechtigkeit sucht?
Die vier großen Bereiche
- Schutz vor Gewalt
- Förderung der Freiheit
- Abbau von Ungleichheiten
- Friedensfördernder Umgang mit Pluralität
die das Papier benennt, wirken wie eine moralische Rahmung für eine Politik, die längst beschlossen hat, dass Frieden nur durch militärische Stärke erreichbar sei. Damit läuft die Kirche Gefahr, ihre prophetische Stimme zu verlieren und stattdessen als Legitimationsinstanz für eine Politik der „Kriegstüchtigkeit“ zu dienen.
Bei der Formulierung der Zielsetzung kann die Vermutung bestehen, dass er der Kirche nicht nur um den Krieg geht, der aktuell auf dem Territorium der Ukraine ausgetragen wird, sondern dass die Kirche die allgemeine Politik des gegenwärtigen politischen Mainstreams der Bevölkerung nahbringen will.
Besonders problematisch ist die einseitige Fixierung auf Russland als Hauptursache der „Unordnung“. Indem die Denkschrift den Angriffskrieg gegen die Ukraine als Beleg für die größte Gefahr Europas herausstellt, übernimmt sie die geopolitische Logik der NATO-Staaten. Sie blendet dabei andere Ursachen der Unordnung aus: die globale Ungleichheit, die ökonomische Ausbeutung, die Klimakrise und die Erosion demokratischer Institutionen. Frieden wird so auf eine militärische Abwehrstrategie reduziert – und verliert seinen ethischen Kern.
Wenn die Kirche wirklich einen „gerechten Frieden“ im Blick haben will, dann müsste sie den Mut haben, die herrschenden Narrative zu durchbrechen. Sie müsste fragen, ob Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit nicht selbst Teil der Unordnung sind. Sie müsste die Stimme der Opfer sein – nicht die Stimme der Strategen.
Letztlich wird mit einer pseudo-philosophischen Betrachtungsweise über die Notwendigkeit des Zusammendenkens von Friedenethik und Sicherheitspolitik nur eine Begründung dafür geliefert, warum es opportun erscheint, der Politik der Bundesregierung zu folgen, die den Bürgern einreden will, dass nur durch militärische Stärke ein Frieden in dieser Welt erreichbar sein. Gegenwärtig findet damit eine Umkehrung des bisher von der Kirche vertretenen Anspruchs „Frieden ohne Waffen“ statt. Es ist mehr als fragwürdig, die Ethik mit einer Sicherheitspolitik gegenüberzustellen. Sicherheitspolitik hat sich immer auch ethischen Prinzipien ein- und unterzuordnen. Die These in der Denkschrift, dass eine Politik der Angst nicht vor Terrorismus schützt, sie macht ihn nur stärker ist nachvollziehbar. Aber gerade dann sollte die Kirche es unterlassen, Angst bei der Bevölkerung vor einem möglichen Krieg, der von Putin ausgelöst werden könnte, zu schüren.
Einerseits wird in der Denkschrift festgestellt, dass die evangelische Friedensethik auf den Primat des Gewaltverzichts gründet. Dies wird aber gefährlich relativiert, wenn gleichzeitig eine Begründung dafür geliefert wird, warum Gewalt nicht zu verhindern sei. Dies ist aus dem Satz „das Gesetz verwirklicht sich im weltlichen Recht durch Obrigkeiten, die von Gott eingesetzt wurden“. Damit wird die Legitimation zur Gewalt postuliert, wobei dies noch mit dem Hinweis auf das 5. Gebot, also dem Tötungsverbot, relativiert wird, weil das Schutzgebot gegenüber dem Nächsten, das sich in der Herrschaft der weltlichen Gesetze ausrückt, im Widerstreit zur Bergpredigt Christi steht. Nach gravierender wird es, wenn festgestellt wird, dass der Pazifismus nur ein Hinweis sei, wie es richtig wäre, allerdings als universelle Ethik sich nicht legitimieren ließe. Hier muss ein entschiedenes „Nein“ ausgesprochen werden.
Die Kirche hätte diese Denkschrift auch bereits vor Jahren formulieren können, als es um den Iran, den Irak und Afghanistan ging und die USA meinten, mit militärischer Macht eine neue Welt schaffen zu können. Auch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina sind ein Beispiel dafür, dass mit brutaler militärischer Macht nur Tod und Unheil erzeugt wird, jedoch kein Frieden, es sei denn, man würde die Friedhofsruhe als Befreiung der Menschen ansehen und dies dann als Frieden feiern.
Der Inhalt der Denkschrift, die grundsätzlich zu begrüßen ist, weil es immer gut ist, sich mit Fragen des Friedens zu befassen, zeigt anderseits die moralische und ethische Zerrissenheit einer Kirche, die offensichtlich aktuell selbst nach einem richtigen Weg sucht.