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Kleine Parteien haben die Sprengkraft, die deutsche Parteienlandschaft zu verändern

Bornemann-Aktuell kommentierte kürzlich das Parteiprogramm der DAVA. Nachdem doch eine Reihe von Fragen bestanden, baten wir den Vorsitzenden der DAVA, M. Teyfik Özcan zu einem telefonischen Interview, um uns aus erster Quelle über Inhalt und Absichten dieses Programms zu informieren.

Auf die Frage, ob die DAVA als Partei bereits anerkannt sei, wies Herr Özcan darauf hin, dass es sich bei seiner Organisation nicht um eine Partei handele, sondern sie sich als Wählergemeinschaft verstehe. Es verwundert jedoch, wenn die DAVA in der Überschrift ihres Programms selbst „Parteiprogramm der DAVA“ schreibt. Die Organisation sei als Wählergemeinschaft bei der Bundeswahlleiterin registriert, so dass die Vereinigung berechtigt sei, nunmehr die für die Europawahl erforderliche Anzahl von Unterschriften zu sammeln. Es sei beabsichtigt, bei der Europawahl am 9.Juni 2024 als Wählergemeinschaft anzutreten. Inwieweit sich aus der Wählergemeinschaft eine Partei entwickeln kann, soll nach der Europawahl entschieden werden. Sehr eindeutig wies der Vorsitzende der Vereinigung darauf hin, dass es sich nicht um eine türkische Wählergemeinschaft oder Partei handele, sondern man sich als ausschließlich deutsche Organisation empfinde. Bisher haben 20 bis 25 Personen die Gründung dieser Organisation vorbereitet und in einer intensiven Beratung, bei der auch ausführlich über die einzelnen Punkte des Programms diskutiert wurde, das vorliegende Programm der Vereinigung formuliert und verabschiedet. Jetzt benötige man 4.000 Unterschriften, um bei der Wahl antreten zu können. M. Teyfik Özcan wies darauf hin, dass der Anlaß für die Gründung seiner Vereinigung eine Unzufriedenheit über die Entwicklung in der Gesellschaft in Deutschland sei. Seine Freunde fühlen sich in Deutschland teilweise nicht richtig angenommen, da sie den Eindruck haben, nicht als vollwertige gleichberechtigte Bürger in diesem Land anerkannt zu werden. Dies sei deshalb nicht akzeptabel, weil sich die deutschen Bürger, die einen türkischen Hintergrund haben, als Deutsche fühlen. Auf die Frage, welchen Stellenwert für ihn der türkische Präsident habe, stellte M. Teyfik Özcan sehr eindrücklich fest: „Mein Präsident ist Steinmeier und mein Bundeskanzler ist Olaf Scholz“. Aus seiner Sicht habe die Politik der Türkei für ihn und seine politischen Freunde keinen Einfluß auf die politischen Zielsetzungen, wobei er einräumte, dass es natürlich auch eingebürgerte türkische deutsche Bürger gibt, die eine gewisse Affinität zu ihrem ursprünglichen Heimatland pflegen. Immer wieder stellte der Vorsitzende der DAVA fest, dass in seiner Vereinigung Personen unterschiedlicher Ethnien vertreten seien. In der DAVA fühlen sich sowohl Personen türkischer, als auch arabischer und iranischer Wurzel zu Hause. Es seien aber auch einige Deutsche ohne Migrationshintergrund in der DAVA vertreten. Natürlich gibt es Sympathisanten mit unterschiedlichen Auffassungen. Schließlich gäbe es keine Einheitsmeinung. Alle eint jedoch die Auffassung, dass in der Gesellschaftspolitik in Deutschland einiges aus dem Ruder gelaufen sei. M. Teyfik Özcan beschrieb die Lage wie folgt: Wenn Parteien nicht mehr auf das hören, was die Bürger wollen und ständig gegen sie regieren, dann brauchen sie sich nicht zu wundern, wenn sich die Bürger von diesen Parteien abwenden und sich anderen Gruppierungen zuwenden. Eines der Hauptprobleme sei, dass die offenen Fragen in der Gesellschaft, die die Bürger beschäftigen und auch belasten, nicht offen diskutiert werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden manche Bürger in Deutschland seine Wählergemeinschaft präferieren, weil sie mit den etablierten Parteien in Deutschland nicht mehr einverstanden seien und sich scheuen, die AfD oder die Wagenknecht-Partei zu wählen. In diesem Zusammenhang wies M. Teyfik Özcan darauf hin, dass er selbst lange Mitglied der SPD gewesen sei und diese verließ, weil er sich nicht mehr von der Politik dieser Partei vertreten fühlte.

Eine ausgesprochene kritische Einstellung besteht gegenüber Politikern mit türkischem Migrationshintergrund, die in Deutschland bis hin zum Amt eines Ministers sehr hohe Positionen bekleiden. Auf meine Frage, ob sich in der hohen Anzahl solcher Personen eine bereits erfolgte hohe Integration der deutschen Bürger mit türkischen Hintergrund zeige, reagierte M. Teyfik Özcan sehr abweisend und erklärte, dass diese Personen nicht das Vertrauen seiner politischen Freunde haben.

Natürlich vertrete die DAVA ein konservatives Weltbild, wobei hier „konservativ“ nicht mit einem negativen Zeichen zu versehen ist. Das Familienbild der DAVA geht von der traditionellen Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern aus. Es läßt Raum für andere Lebensmodelle, sieht diese aber nicht als Maßstab für die gesamte Gesellschaft an. Im Gespräch wies der Vorsitzende der DAVA auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hin und brachte zum Ausdruck, daß nach Artikel 6 GG der Staat eine besondere Verpflichtung habe, die Familie zu schützen. Die Familie ist die Basis für eine jede Gesellschaft. Im Zusammenhang mit möglichen Abhängigkeiten der Wählergemeinschaft zur Türkei kritisierte M. Teyfik Özcan, dass nun bereits seit 30 Jahren darüber gesprochen werde, dass die Imane, die in deutschen Moscheen tätig seien, in Deutschland und nicht in der Türkei ausgebildet sein sollen. Leider sei das noch immer nicht umgesetzt. Imane sprechen mit ihren Gläubigen nicht nur über religiöse Fragen, sondern müssen auch die gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in ihre Arbeit mit einbeziehen.

Besonders überraschend war am Ende des Interviews auf die Frage, wie gegenwärtig die Finanzierung der Wählergemeinschaft erfolge, dass der Vorsitzende der DAVA erklärte, dass man bis jetzt noch keine Bank gefunden habe, die ihnen ein Geschäftskonto einrichtet. Gründe wurden der DAVA bisher nicht genannt.

Zusammenfassend kann aus unserer Sicht aus dem Gespräch festgestellt werden, dass die Vereinigung, gleichgültig, ob sie sich als Wählergemeinschaft oder als zu gründende Partei versteht, eine Bereicherung in der politischen Landschaft Deutschlands werden könnte. Es ist auch erkennbar, dass man sehr stark bemüht ist, sich nicht als „fremdgesteuerte“ Organisation zu empfinden, wobei es anderseits auch nicht ausgeschlossen ist, dass spezifische Interessen einer Gemeinschaft mit einem türkischen Migrationshintergrund unberücksichtigt bleiben werden und auch nicht sollten. Die sehr deutlichen Hinweise, auf das Eingebundensein in die deutsche Gesellschaft zeigt aber auch die Problempunkte, die darin bestehen, dass der Eindruck besteht, noch immer nicht vollständig in der deutschen Gesellschaft angenommen zu sein. Nicht zuletzt werden auch Fragen eine Rolle spielen, die sich aus der großen Heterogenität der islamischen Glaubensgemeinschaft ergibt, so dass nicht auszuschließen ist, dass die DAVA von anderen politischen Bestrebungen aus der Türkei kritisch angesehen wird.

Wichtig ist, das gemeinsame Gespräch zu suchen. Die Gesellschaft mit türkischem Hintergrund wird in Deutschland eine immer größere Bedeutung haben. Das wird, ja es muß auch eine Auswirkung, auf die bisher in Deutschland tätigen Parteien haben.

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Das Parteiprogramm DAVA der türkischen Gesellschaft in Deutschland läßt viele Fragen offen

Aktuell scheint die Öffentlichkeit kaum ein Interesse an der sich gerade neu konstituierenden Partei der türkischen Gesellschaft in Deutschland zu haben. Abgesehen von einigen Presseausführungen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und einigen Printmedien hat man den Eindruck, dass man bereits zur Tagesordnung übergegangen ist. Das Anheizen der Öffentlichkeit gegen angebliche rechtsradikale Entwicklungen und die Organisation entsprechender Demonstrationsveranstaltungen, die von Wanderdemonstranten – im Mittelalter gab es die Wanderhuren – bestückt werden, damit der Eindruck entsteht, als wenn ganz Deutschland im Aufruhr sei, scheinen gegenwärtig für viele Politprofis wichtiger zu sein, als die sich anbahnende fundamentale Veränderung der Parteienlandschaft in Deutschland. Dabei wird die sich jetzt gründende Partei „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ eine wesentlich entscheidendere Rolle spielen, als der sogenannte Aufbruch einer Frau Wagenknecht, die zwar vom Aufbruch redet, in Wahrheit aber die alte SED-Ideologie jetzt nur mit schöneren Worten fortsetzt.

Besonders auffällig ist, dass bei den bisher vorliegenden Pressemitteilungen keine ausführliche Darlegung über die Inhalte des bereits vorliegenden Parteiprogramms der Partei DAVA erfolgte. Eine Anfrage bei dem Vorsitzenden der DAVA in Deutschland, M.Teyfik Özcan, durch das wir um eine Ausfertigung des Parteiprogramms baten, wurde sehr schnell beantwortet. Uns wurde das vollständige Parteiprogramm übersandt.

Nun kann man geteilter Meinung sein, ob es sinnvoll sei, wenn eine gesellschaftliche Gruppe mit einem eindeutig starken türkischen Bezugspunkt, die aufgrund der doppelten Staatsangehörigkeit auch Teil der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist, eine eigene Partei gründet, die natürlich das Ziel hat, auch im Bundestag vertreten zu sein und damit direkten Einfluß nicht nur auf die Meinungsbildung, sondern auch auf die Gesetzgebung in Deutschland haben wird. Aber wie auch immer diese Frage beantwortet wird, stellt sich vorher die Frage, warum es überhaupt zu der der Absicht der Gründung einer solchen Partei gekommen ist. Soweit man aus Verlautbarungen der türkischen Gesellschaft in Deutschland hören konnte, fühlte man sich von den bisherigen Parteien in Deutschland, die viel von Integration und Vielfältigkeit reden, nicht ausreichend vertreten. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass die türkische Gesellschaft in Deutschland immer eine besondere Affinität zur SPD hatte und hier offensichtlich ein Bruch entstanden ist.

Die jetzt geplante Partei kann auch nicht einfach mit der Minderheitspartei der Dänen in Schleswig-Holstein gleichgesetzt werden. Im Gegensatz zur dänischen Minderheit in Deutschland, die auch aufgrund von Grenzverschiebungen zwischen Deutschland und Dänemark entstanden ist, liegen die Verhältnisse bei den türkischen Mitbürgern völlig anders. Aus unserer Sicht dürfte es spannend werden, wie sich die Partei der Türken in Deutschland verhalten wird, wenn sich deren Mitglieder zwischen ihrem türkischen Heimatland und dem neu gewählten Heimatland Deutschland entscheiden müssen. Eine solche Entscheidung wird immer dann relevant, wenn aufgrund einer besonderen Krisensituation ein Bekenntnis für die eine oder andere Seite zwingend geboten ist.

Aber diese Fragen werden mit Sicherheit noch einen großen Rahmen in der öffentlichen Diskussion einnehmen, wobei wir gar nicht sicher sind, ob diese Fragen von den derzeitigen deutschen Politikern auch nur ansatzweise bedacht worden sind. Wahrscheinlich werden sie sogar nicht als ein besonderes Problem angesehen.

Ein erster Blick auf das Programm zeigt jedoch, dass es sich noch um einen vorläufigen Entwurf zu handeln scheint. Es werden alle relevanten gesellschaftspolitischen Fragen angesprochen, die auch in Deutschland keine Überraschung sein können. Es wird auch erkennbar, dass sich das Programm auf die spezifischen Belange von türkischen Staatsbürgern, die Deutschland zu ihrer neuen Heimat gewählt haben, bezieht und die für die gesellschaftliche Integration türkischer Mitbürger in Deutschland von großer Bedeutung sind. Allerdings werden auch viele Fragen offengelassen, so dass nicht erkennbar ist, welche politische Richtung die neue Partei wirklich einschlagen wird. Dies bezieht sich besonders auf die Außenpolitik. Es wird die Zweistaatlichkeit der Israelis und der Palästinenser gefordert, allerdings ist nicht klar, ob und zu welchem Bündnissystem die Orientierung erfolgen soll. Es wird von einer starken Einbeziehung der EU gesprochen, es bleibt aber offen, ob damit die EU als eigenständiger Staat oder als Zusammenschluss von souveränen Staaten gemeint sein könnte.

Die Kapitel „Schutz der Familie“ und „Anerkennung muslimischer Religionsgemeinschaften“ sind im Gegensatz zu den übrigen 15 Kapitel ausgesprochen präzise formuliert. Das Familienbild orientiert sich an dem Familienbild der CDU, als diese noch eine CDU gewesen ist. Die Familie im Programm der DAVA orientiert sich an dem traditionellen Familienbild und nicht an Pseudofamiliengebilde, bei denen nicht mehr von Mann und Frau gesprochen wird. Auch die Forderung nach einer staatlichen Anerkennung der muslimischen Religion ist Grundlage im vorliegenden Parteiprogramm.

Völlig offen, weil nicht angesprochen, ist die Beziehung zwischen der türkischen Gesellschaft in Deutschland und zur Regierung ihres Ursprungslandes. Diese Frage dürfte für türkische Bürger mit der deutschen und türkischen Staatsangehörigkeit von einer besonderen Bedeutung sein. Unbeschadet der Doppelstaatlichkeit bei türkischen Bürgern, sollte beachtet werden, dass der türkische Staat seine Bürger auch dann nicht aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlässt, wenn eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen wurde.

Bornemann-Aktuell wird sich mit der Analyse des Programm eingehend befassen und zu gegebener Zeit dazu Stellung nehmen. Bereits jetzt kann aber festgestellt werden, dass es bei allen Parteien, mit Ausnahme der gegenwärtigen demokratischen Oppositionspartei der AfD ein Umdenken geben muß, wenn nicht der nächste große gesellschaftspolitische Konflikt im Bundestag entstehen soll.