Das Nachrücken einer gehörlosen SPD-Bundestagskandidatin in den Bundestag könnte auf den ersten Blick ein bedeutsamer Fortschritt für die sogenannte Inklusion darstellen. Wird den Bürgern nicht eingeredet, dass alle Menschen, gleichgültig welche körperlichen und geistigen Voraussetzungen sie haben, alle Tätigkeiten ausüben können und der Hinweis darauf, dass für bestimmte berufliche Tätigkeiten auch bestimmte körperliche Voraussetzungen vorliegen müssen, eine menschenverachtende Diskriminierung darstellt.
Natürlich wird es für die neue Bundestagsabgeordnete Heike Heubach ein Tag der Freude gewesen sein, jetzt als Abgeordnete im Bundestag vertreten zu sein. Dazu kann man ihr nur gratulieren. Allerdings sollte es auch zulässig sein, einmal sehr grundsätzlich die Frage zu stellen, inwieweit es wirklich der große Durchbruch in der Inklusion gewesen ist und ob dies der Beginn einer neuen Entwicklung bei der Besetzung der Abgeordnetenmandate ist, bzw. angestrebt werden soll. Für eine solche grundsätzliche Fragestellung sind die Einlassungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich nicht hilfreich. Mützenich wird mit den Worten zitiert: „Was mich natürlich besonders interessieren wird: Wie die AfD mit einer solchen Abgeordneten umgeht. Weil wir wissen, ja spätestens seit der Äußerung von Herrn Höcke, dass Menschen mit Behinderungen eigentlich eine Belastung für die Gesellschaft sind. Ich hoffe, er hält diese Belastung für den Deutschen Bundestag aus“. Wir wissen nicht, was Herr Höcke zum Thema behinderte Menschen gesagt haben soll, es ist jedoch von Mützenich unredlich, den Einzug einer gehörlosen Abgeordneten für einen parteipolitischen Angriff gegenüber einer im Bundestag vertretenen Partei zu verwenden.
Der Einzug einer Abgeordneten in den Bundestag, die aufgrund ihrer körperlichen Behinderung auch beim besten Willen nicht die Aufgabenstellung eines Abgeordneten voll umfänglich erfüllen kann, muss die Frage stellen, wann beginnt eine gutgemeinte Idee einer angeblich möglichen Inklusion sich in ihr Gegenteil zu verkehren und weder dem Personenkreis, für den es angeblich keine körperlichen und geistigen Grenzen geben soll hilft und nutzt, noch der Gesellschaft dienlich ist, weil sie natürlich von bestimmten Funktionsträgern erwarten darf, dass dieser den gesetzten Aufgaben auch nachkommen kann. Die Aufgabe eines Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist weder eine Freizeitbeschäftigung, noch ist so unbedeutend, dass es egal wäre, ob die Abgeordneten in der Lage wären, ihre Aufgabe auch vollinhaltlich auszufüllen. Es muss bezweifelt werden, ob dies eine Person wahrnehmen kann, die nicht hören und sprechen kann. Damit entfällt eine wesentliche Kommunikationsbasis, die aber zur Erfassung der politischen Sachverhalte und der Möglichkeit, aktiv darauf zu erwidern und einzuwirken, notwendig ist.
Unser Staatssystem geht von der Dreiteilung der Macht aus. Es geht um das Miteinander der Legislative, der Exekutive und der Judikative. Wenn jetzt die Auswahl der Mandatsträger nach Inklusionsgesichtspunkten erfolgen sollte, würde man den wichtigsten Bereich in der Dreiteilung der Machtzentren schwächen. Unterstellt, die Besetzung des Bundestages erfolge weiter durch Personen, die in ihrer Kommunikationsmöglichkeit erheblich eingeschränkt sind, dann würde die Effizienz des Bundestages gegenüber der Exekutive erheblich eingeschränkt. Von einer Waffengleichheit zwischen diesen beiden Gruppen kann dann keine Rede mehr sein. Natürlich ist es wünschenswert, wenn alle Menschen die gleichen Chancen hätten, die Tätigkeit, die sie selbst anstreben auch durchführen können. Aber gleiche Chancen gibt es weder im menschlichen Leben noch in der übrigen Natur. Nicht alle Tätigkeiten ausüben zu können, weil körperliche Befindlichkeiten dem im Wege stehen, hat nichts mit einer Wertigkeit des Menschen zu tun. Die Wertigkeit eines Menschen ist nicht davon abhängig, zu welchen Leistungen er in der Lage ist. Insofern mag es für die SPD, die eine taubstumme Kandidatin auf die Wahlliste gesetzt hat, ein parteipolitischer Aufmerksamkeitsfaktor sein, eine soziale Errungenschaft und erst recht kein Beweis für eine gelungene Inklusion ist es nicht. Es stellt sich aktuell sogar die Frage, ob hier nicht auf dem Rücken von Betroffenen der Beweis angetreten werden soll, wie erfolgreich man bei der Inklusion sei. Ob die Bürger dies auch so sehen, ist sehr fraglich. Die Funktion eines Abgeordneten im Bundestag ist zu bedeutend, um hier gesellschaftspolitische Experimente zu starten.