Sowohl im Rundfunk als auch in der Presse wird heute berichtet, dass der Vorsitzende der PiS und stellvertretende Regierungschef Jaroslaw Kaczynski eine Reparationszahlung von Deutschland in Höhe von 1,3 Billionen Euro fordert. Er bezieht sich auf ein Gutachten, das in Polen erstellt wurde und dass entsprechende Kriegsschäden, die von Deutschland in Polen angerichtet worden sein sollen, beziffert. Wie von polnischer Seite gesagt wurde “handele es sich um eine Summe, die die deutsche Wirtschaft perfekt verkraften könnte, ohne erdrückt zu werden.” (Quelle: Sächsische Zeitung vom 2.9.2022). Die deutsche Bundesregierung hat diese Forderung zurückgewiesen.
Nun stellt sich aus einem solchen Anliegen eine Vielzahl von Fragen, die durchaus diskutiert werden sollten, sofern sich die von Kaczynski formulierte Forderung die polnische Regierung zu Eigen machen sollte. Da dieses Thema aus Polen immer in den letzten Jahren angesprochen wurde, kann man vermuten, dass es sich doch um eine ernstzunehmende Forderung handelt.
Für Deutschland ergeben sich unter diesen Umständen neue Gesichtspunkte, die keinesfalls für Polen sehr erfreulich wären. Unterstellt, der bisherige Vertrag 4 plus 2, der angeblich ein Friedensvertrag sein sollte, ist ein völkerrechtlich verbindlicher Friedensvertrag – wobei hier erhebliche Zweifel bestehen, ob dies wirklich ein Friedensvertrag ist – wären weitere Reparationsforderungen nichtig. Nach Abschluss eines ordentlichen Friedensvertrags wären alle Forderungen aus der Vergangenheit abgeschlossen.
Aber eine weitere Frage müsste erneut angesprochen werden, wenn Polen meint, Forderungen aus dem zweiten Weltkrieg stellen zu sollen. Deutschland hat erhebliche Teile seines Landes an Polen abgegeben und geht derzeitig davon aus, dass die Grenzziehung nach dem 2. Weltkrieg für Deutschland endgültig ist, so dass auch von deutscher Seite keine Gebietsansprüche an Polen gestellt werden können. Nachdem Polen jetzt meinen könnte, die Reparationsforderungen aus dem zweiten Weltkrieg seien noch immer offen, muss auch die Gebietsfrage neu verhandelt und ggf. neu festgelegt werden. Auf jeden Fall ist es ein gefährliches Signal von Polen, wenn es darauf hinweist, dass die Folgen des zweiten Weltkrieges noch immer nicht abgeschlossen sind.
Selbst wenn – was wahrscheinlich eintreten wird – die Forderungen Polens ins Leere laufen sollten, ist ein erheblicher Flurschaden im politischen Bereich angerichtet worden. Man stelle sich vor, dass ein Mitgliedsland der EU, die immer von gemeinsamer Wertegemeinschaft redet, gegen einen anderen Mitgliedsstaat mit der Behauptung vorgeht, der Krieg sei insofern noch nicht beendet, als noch immer Forderungen im Raum stehen. Von gegenseitigem Vertrauen kann unter solchen Voraussetzungen in keiner Weise mehr gesprochen werden.
Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieses Thema von polnischer Seite auch innenpolitische Hintergründe hat. Aber anderseits ist auch zu erkennen, dass sich in Polen ein Klima des Größenwahns bei manchen Politikern eingestellt, hat. Auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland, in die sich Polen massiv mit eingemischt hat und bei näherer Betrachtung als Kriegsbeteiligter angesehen werden könnte, werden starke Worte verbreitet. Nicht zuletzt geht es auch bei der Ukraine um die Durchsetzung ureigener Interessen Polens, sich auf welchem Wege auch immer mindestens einen größeren politischen Einfluss in der Ukraine zu verschaffen. Es kann sogar angenommen werden, dass es Polen dabei nicht nur um einen politischen Einfluss, sondern auch um Gebietsforderungen geht. Wahrscheinlich glaubt Polen durch die USA einen großen Rückhalt zu haben, so dass man keine politischen Rücksichten auf die Befindlichkeiten anderer Staaten, erst recht nicht auf die Befindlichkeit Deutschlands, nehmen müsste. Dabei wird verkannt, dass sich Polen im Verlaufe der Geschichte mehrmals bei seiner Einschätzung politischer Machtverhältnisse zwischen die Stühle gesetzt hat und dies erhebliche negative Konsequenzen für Polen zur Folge hatte. Es sollte in diesem Zusammenhang auch daran erinnert werden, dass Polen nach dem zweiten Weltkrieg nicht nur große Teile Deutschlands erhalten, sondern andererseits auch Teile seines eigenen Territoriums zugunsten Russlands verloren hat.
Bezüglich der Forderungen Polens gegenüber Deutschland wird die Büchse der Pandora gelüftet, mit allen schlimmen möglichen Folgen. Die Geschichte hat gezeigt, dass Gebietsfestlegungen von Politikern, die gegen den Willen von Völkern erfolgten, nie dauerhaften Bestand hatten. Insofern zündelt Polen jetzt an der Lunte, wenn erneut Reparationszahlungen von Deutschland verlangt werden. Damit wird, wenn es tatsächlich zu entsprechenden Verhandlungen kommen sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, von bestimmten Kreisen in Deutschland der Ruf laut werden, auch die Grenzen Deutschlands neu zu überdenken und ggf. neu festzulegen. Ob sich Kaczynski darüber im Klaren ist, wissen wir nicht, aber er sollte hier doch mit mehr Sensibilität und Umsicht vorgehen und nicht versuchen, mit dem Holzhammer seine Vorstellungen durchzusetzen. Der Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, dass zur Durchsetzung von Gebietsansprüchen auch heute noch Kriege nicht ausgeschlossen werden können.